Ricky Saward: Der vegane Sternekoch im Porträt

Ricky Saward: Der vegane Sternekoch im Porträt

Ricky Saward ist ein Solitär in der Restaurantszene. Im Frankfurter "Seven Swans" denkt er vegane Küche neu: kühn und verblüffend kreativ, dabei ganz ohne Gewürze und streng regional. Das schmeckt seinen Gästen: Ein Jahr im Voraus ist er ausgebucht! 
Datum21.06.2023

Steckbrief Ricky Saward

Name: Ricky Saward

Alter: geboren am 10. Januar 1989

Stationen: Nach dem Praktikum in einem Altersheim entschied er sich, Koch zu werden. Ausbildung in einem Wirtshaus in der Heimatregion Borken, dann diverse Posten in den Hiltons in Wien und Sydney sowie im Meredith’s in Auckland, in Frankfurt in der King Kameha Suite, im Opéra, Chairs (von DER FEINSCHMECKER mit 1,5F bewertet) und in der Villa Merton (von DER FEINSCHMECKER mit 3F bewertet). 2018 übernahm er die Nachfolge von Jan Hoffmann im vegetarisch ausgerichteten Seven Swan". 

Restaurant: Der Name stammt vom Titel eines der Lieblingsalben des Besitzers Steen Rothenberger (Lindenberg Group, Frankfurt), das Gemälde des "sterbenden Schwans" vom Künstler Dennis Rudolph. Das Mobiliar ist schlicht und dunkel, jeder Teller, jede Schale ein handgemachtes Unikat. 16 Gäste finden in persönlicher Atmosphäre Platz und genießen das Menü gleichzeitig. Dazu gibt es Bio- und Naturweine aus Deutschland.

DER FEINSCHMECKER zeichnet das Seven Swans mit 3,5F aus. Die ausführliche Restaurant-Bewertung finden Sie am Ende dieses Artikels.  

Das Team: Ricky Saward, Souschefin Nadine Penalva-Lopez und Leonie Höfner arbeiten auf Augenhöhe, pflanzen, ernten, kochen und servieren gemeinsam. 

Privat: Der Chefkoch lebt mit Frau und Kind in Frankfurt, geht gern zur Eintracht Frankfurt, entspannt bei der Pflege seines Aquariums und gönnt seinem Kopf im Urlaub ein Reset: "Da denke ich so wenig wie möglich über Essen nach."

Seven Swans
Mainkai 4
60311 Frankfurt am Main
Tel. 069-21 99 62 26
www.sevenswans.de
Di-Sa abends geöffnet, Menü € 159 

Der Empfang im Seven Swans

Die glorreichen drei: Ricky Saward, Leonie Höfner und Souschefin Nadine Penalva-Lopez (v. l.) sind gemeinsam für Küche und Service zuständig.

Der Besuch in einem der ungewöhnlichsten Restaurants Deutschlands beginnt mit einer Überraschung. Man öffnet die Tür und steht – verdutzt – in einer Bar. Ein Transitraum, in dem es zur Begrüßung einen guten Drink gibt, die Gäste Jacke, Alltag und Bürostress abwerfen und gespannt auf den Einlass ins Abenteuerland warten. Der Fahrstuhl zuckelt nach oben in die Küche: Und da steht schon erwartungsvoll der freundliche, rot-blonde Hüne mit den feinen Händen und führt ein Stockwerk hinunter in den Gastraum: dunkel gestaltet, geschickt ausgeleuchtet, Blick auf den Feierabendverkehr am Main. 

Ricky Saward ist kein Koch, der nun bis zum Dessert wieder verschwindet. Er serviert mit seinen Kolleg:innen, Souschefin Nadine Penalva-Lopez und Leonie Höfner, jeden Gang, schenkt Wein ein, stellt den Gäst:innen jedes Gericht im Detail vor. "Ich will nicht belehren", sagt er, "sondern erklären, welche Leidenschaft, welcher Aufwand hinter allem steckt." Niemand weiß, was nun kommt – auf der Homepage verrät er kein Wort zum Menü, Speisekarten hat er abgeschafft: "Die landen eh nur in Schubladen." Wir tauchen unsere Hände in einen duftenden Kräutersud, viele Häppchen werden mit der Hand gegessen. Und dann gehen sie los, die Olympischen Spiele der Pflanzenküche.

Wie wäre es mit einem Wochenendtrip nach Frankfurt? In unserer Serie 48 Stunden in geben wir Ihnen Tipps für Ihren Aufenthalt in der Mainmetropole.

Wie kam Ricky Saward zur radikalen Gemüseküche?

Von den Fensterplätzen im "Seven Swans" blicken die Gäste auf den Main.

Es geschah in Neuseeland: Mit einem Stipendium kochte Ricky Saward, Sohn einer Waliserin und eines Westfalen, bei Michael Meredith in Auckland. "Er hatte eine enge Beziehung zur Natur, pflückte morgens Kräuter, kochte das Personalessen vegan, aber das bemerkte ich gar nicht, so köstlich war es. Da hat es bei mir Klick gemacht." 

In Frankfurt übernahm Ricky Saward 2018 das vegetarische Seven Swans am Mainkai, ein Haus so schmal und schlicht, dass es leicht übersehen wird. Akribisch ar­beitete er sich in eine Küche ohne Fisch und Fleisch ein und stellte irgendwann fest: "Eier, Milch, Sahne, Butter – das ist doch eine Speckschicht, die wir auch nicht brau­chen." Zunächst inkognito stellte er dann auf vegan um. Und blieb dabei. Dabei ist Ricky Saward ein Meister der Selbstbeschränkung: Bis auf Luisenhaller Salz und Biorüben­zucker verzichtet er auf Gewürze. Denn: "Warum soll ich einer Karotte, die saftig ist und viele komplexe Nuancen hat, die Würz­peitsche geben?" Alle international­ exotischen Produkte, auch Kaffee und Schoko­lade, sind tabu. Seine Speisekammer sind die Braumannswiesen, ein Fünf-­Hektar­-Permakultur­-Garten im Taunus, in dem er Gemüse, Kräuter und Früchte anbaut, bis zu 350 Sorten. 

Seine Motivation für den Ver­zicht: Klima und Ressourcen schonen, Tier­wohl fördern. Aber ihn fachen auch Ehrgeiz und Pioniergeist an, er will die "nachhaltigste Sterneküche" abliefern, Gästen und der Welt beweisen, dass man auch ohne Kaviar und Wagyu Champions League kochen kann; dass man Grenzen sprengt, indem man sich Grenzen setzt. Dass man oben schwimmt, wenn man sich gegen den Strom stellt, dass man kulinarischen Luxus neu definieren kann. Nicht umsonst war Ricky früher Mu­siker in einer Punkband. "Ich habe Kochen gelernt, um – so hart es klingt – aus billigem Rohmaterial, das ich dreckig aus der Erde ziehe, ein Kunstwerk zu schaffen."

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Wie groß ist der Aufwand für die Gerichte von Ricky Saward?

Die Braumanns-Wiesen in Bad Homburg sind die Speisekammer – hier gedeihen Gemüse, Kräuter, Blüten und Früchte.

Immens. Ricky Saward steuert seine eigene Wertschöpfungskette: von der Auswahl des Saatguts bis zum eigenen Küchenkompost. Und wer nun meint, dass im Taunus doch nur Allerweltsgemüse sprießt, weiß noch nicht, wie unterschiedlich allein Kiwano­, Zitrus­ oder Luffa­gurken schmecken. "Auch bei Kartoffeln gibt es ein Spektrum von süß bis mineralisch, von nussig bis fruchtig", schwärmt der Chef.

Nein, er vermisst nichts. Statt mit Zitronen säuert er komplexer mit Rheingauer Verjus, eigenem Tomatenessig oder Zierquitten. Für weiche Süße zapft er Birkensaft von den Bäumen und streift vor allem im Frühjahr ("Das ist unsere Heavy-­Metal-­Zeit") mit Nadine und Leonie durch die Natur, die für das Trio ein Füllhorn ist. Sie klettern mit Jutebeuteln über Zäune, um etwa die rare Feldkirsche zu ergattern, pflü­cken Akazienblüten und Birkenkätzchen, Ahorn­ und Hainbuchenknospen, Bärlauch­ und Schlehenblüten, Vogelkirschen, Lär­chen­ und Fichtensprossen. Alles legal, ver­steht sich. Das Trio arbeitet traditionell, fast archaisch: Im Frühjahr und Sommer muss für den Winter vorgesorgt werden, da gibt es kein Pardon, da heißt es: einwecken, einle­gen, einsalzen, fermentieren.

Auch Stephan Hentschel serviert fleischlose Spitzenküche: Wir verraten alles über den Koch. 

Wie schmeckt das kühne vegane Menü von Ricky Saward?

Ricky Sawards Credo lautet: "Wir sind kei­ne Rohkosteria." Wie wahr! In jedem Ge­richt steckt unglaublich viel Finesse, Mühe, Liebe und Technik. Am Gaumen indes spürt man keinerlei Überforderung, da verwandelt sich jeder Bissen in Wohlgefühl. Die Ge­schmacksbilder sind vielschichtig, mal apart und filigran, dann wieder tiefgründig und vollmundig oder süß-säuerlich-­feinherb. Die Aromen spielen auf der Zunge Pingpong, Crunch­-Effekte liefern den Sound dazu – und auch optisch ist jedes Gericht durch­dacht: ästhetisch, bildschön, kleine Kunst­werke. Männer tun sich mit dieser kulinari­schen Hochseil-­Artistik oft schwer, hat Saward festgestellt. Daher möchte er nur noch mit Frauen zusammenarbeiten. 

Aus jedem Produkt arbeitet er den maxi­malen Geschmack heraus, von der Wurzel bis zur Schale bleibt nichts ungenutzt. Ricky Sa­wards Lieblingsprodukt, der Kiefernzapfen, simmert etwa bis zu sechs Tage im Zucker­sirup, bis eine Art Lakritz entsteht, mit Harzfrische und Zitrusaroma. Karotten lässt er zwei Wochen über dem Herd reifen, grillt sie in Holzkohle, wolft sie und stellt eine Ka­rottenemulsion mit Kamillenöl her. Knoblauchzehen  werden bis zu zehnmal in Hafer­milch ausgekocht, bis eine süß­cremige Masse da ist. Schwarzer Rettich verglüht mit heißer Holzkohle zwei Tage in der Erde. Dinkelplätzchen werden mit geröstetem Malz, entsaftetem Blumenkohl, Pilz-­Maro­nen-­Creme, eingelegter Brombeere und fer­mentiertem Shiitakepilz zur Umami­-Bombe. 

Wie Ricky Saward auf diese Ideen kommt? Mit Stift und weißem Papier denkt er sich alle Kreationen aus, stellt sich Geschmack und Techniken im Kopf vor. "Kochbücher lese ich nicht“, sagt Saward, "die leiten mich nur in die Irre." Sel­ten isst er in anderen Spitzenrestaurants, und dann nur, um zu prüfen, wo er steht, ob er mithalten kann. Saward, der selbst vegan lebt, bestellt dann das normale Menü, zuletzt etwa im "Disfrutar" und im "Enigma" in Barcelona.

Links: Kartoffeln, in der Erde gebacken mit Liebstöckel-Öl, Bärlauch-Gewächse, Sauce von Kartoffelschalen und Cracker.

Mitte: Pilz-Variation mit Dinkel-Malz-Plätzchen, Brombeere, Blumenkohl und Schönschnabelmoos.

Rechts: Schwarzer Rettich aus der Kohle, Staudensellerie-Emulsion, Lärchensprossen, Apfel, Wildkräuter und Koriandersamen.

Wie reagieren Ricky Sawards Gäste auf diese Expedition?

Seit der Umstellung auf vegane Küche bu­chen immer mehr junge Gäste, viele auch aus Indien, Skandinavien und Großbritannien. Bei allem Erfolg kommt es immer wieder zu kuriosen Situationen, erzählt Saward la­chend und kopfschüttelnd: "Wann kommt denn das Filet?", wird etwa gefragt. Ein äl­terer Herr biss sogar immer wieder heimlich von einer Bockwurst ab, die er in seiner Ta­sche hatte, manch anderer zahlte mitten im Menü und ging einen Burger essen. Beirren muss Saward das alles nicht. Ein Jahr im Vo­raus ist er ausgebucht, 600 Gäste standen im April auf der Warteliste. Nur ein IT-­Nerd aus Frankfurt hat das System überlistet, die Homepage gehackt und einen Bot installiert, der jeden frei werdenden Platz gekapert hat, dreimal in drei Monaten. Auch so eine Fanliebe dürfte einzigartig sein.

Zu Gast bei Ricky Saward

Seven Swans
K R Q F

Konzept: Vegane Küche, atemberaubend auf die kreative Spitze getrieben! Im kleinen Restaurant über dem Mainufer gibt es ein Überraschungsmenü. Start für alle Gäste ist in der Bar im Erdgeschoss.
Küche: Ricky Saward ist in Deutschland ein Solitär und schöpft aus freiwilliger Selbstbeschränkung heraus einen beeindruckenden Kosmos an Produkten, Aromen und Techniken. Die Zutaten stammen fast ausschließlich aus seinem Biogarten in Bad Homburg (kein Pfeffer, kein Olivenöl, kein Kaffee, keine Schokolade!), aus denen er finessenreiche Kunststücke mit starken Aromen und sinnlicher Freude macht, alles dabei bildschön angerichtet. Schöne Beispiele sind die Pilzvariation mit Dinkel-Malz-Plätzchen, Brombeere und Blumenkohl, schwarzer Rettich mit Staudensellerie-Emulsion, Sprossen, Apfel, Wildkräutern und Koriandersamen oder Cracker mit Liebstöckel-Öl, Bärlauch-Aioli und Sauce von Kartoffelschalen. Zum Einsatz kommen so ungewöhnliche Zutaten wie Vogelkirsche, Kiefernpollen und Süßlupine.
Wein: Übersichtliche Auswahl von Gewächsen etwa aus dem Natur- und Biobereich, die zur Philosophie des Hauses und der Gemüseküche passen.
Atmosphäre: In dem schmalen, stylishen Restaurant herrscht eine persönliche Atmosphäre, alle Gäste essen gleichzeitig, das Team serviert und erläutert jeden Gang. Passend zum individuellen Konzept ist auch das handgemachte Geschirr.
Fazit: Der Abend ist ein beeindruckendes Gesamterlebnis – „Farm to table“ und „Root to Leaf“ sind keine Floskeln, sondern radikal umgesetzt.

Mainkai 4, 60311 Frankfurt am Main
+49 (0) 69 21996226
www.sevenswans.de
Mi-Sa 18.30-23 Uhr
Menüs € 169 - 228

Die FEINSCHMECKER-Bewertungskriterien

In jeder Hinsicht perfekt
Küche und Service herausragend, Ambiente und Komfort außergewöhnlich
Exzellente Küche, sehr guter Service, Komfort und Ambiente bemerkenswert
Sehr gute Küche, guter Service, angenehmes Ambiente, komfortabel
Gute Küche, ansprechendes Ambiente
Solide Küche, sympathisches Lokal
Bewertung ausgesetzt
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