Wein als Kulturgut

Wein als Kulturgut

Jens Priewe verteidigt ein Kulturgut, vor dem mancher Wissenschaftler warnt – mit fünf tollen Weinen, die Herz und Gaumen streicheln.
Datum17.09.2019

David Nutt spaltet England ähnlich wie Boris Johnson, nur auf einem anderen Feld. Der Londoner Psychiater und Universitätsprofessor behauptet, Alkohol sei eine Droge, gefährlicher als Heroin und Kokain. Wein schließt er ausdrücklich ein. Deshalb für die Wissenschaftsgläubigen eine Warnung vorweg: Alle hier besprochenen Getränke enthalten Alkohol. Mein Heroin ist diesmal ein kalifornischer Zinfandel (2016 Zinfandel, Hess Select,15,50 Euro, www.ludwig-von-kapff.de). Süchtig bin ich zwar nicht nach ihm, aber hin und wieder trinke ich gern diesen dunklen, schweren Rotwein, etwa zu Lamm, Rehrücken, Rinderschulter. Die 14,5 Volumenprozent Alkohol, die auf dem Etikett stehen, schmeckt man nicht, so üppig ist er, so beerig-frisch gleitet er mit feinen Lakritz- und Zimtnoten über die Zunge. Professor Nutt wird sich bestätigt fühlen: Das Gefährliche an vielen alkoholischen Getränken sei, sagt er, dass der Alkohol nicht als solcher wahrgenommen werde. Warum also gerade dieser Wein auf dem Einkaufszettel? Zinfandel ist das seriöse Pendant zum Primitivo, jenem hochprozentigen süditalienischen Rotwein, der eine Weiterentwicklung des Dornfelder lieblich sein könnte und den Deutschen von Nord nach Süd derzeit den Kopf verdreht. Primitivo ist, pardon, eine Seuche, die man, wenn überhaupt, nur mit Zinfandel bekämpfen kann. Und guten Zinfandel gibt es in Kalifornien häufiger als guten Primitivo in Italien. Opulent ist der Zin auch, aber sauber und ohne Restsüße. Wenn schon ein Wein dieser Gewichtsklasse, dann bitte trocken!

Das Gefährliche an vielen alkoholischen Getränken sei, sagt er, dass der Alkohol nicht als solcher wahrgenommen werde

Nach dem Heroin gleich das Kokain. Meins heißt „Mariana“, ist ebenfalls rot und kommt aus Portugal: ein noch junger, aber mitreißender Wein, dunkel wie Tinte, üppig wie die Frauengestalten bei Rubens, doch sportlich-elegant, fast unbeschwert über den Gaumen laufend (2018 „Mariana“, Heredad do Rocim, 7,10 Euro, www.c-und-d.de). Dieser Wein könnte Abstinenzler bekehren und wäre für Nobelweintrinker eine willkommene Abwechslung. Das Weingut heißt Rocim und liegt im Alentejo. Sein Gründer ist ein erfolgreicher Unternehmer. Errichtet hat er das Gut für seine Tochter. Sie interessiert sich nicht für schnelle Autos und zieht das Land der Großstadt vor, hat deshalb Önologie studiert und jetzt nur einen Ehrgeiz: einen Wein zu machen, der - pathetisch gesprochen - das kühle Blut dieses heißen Fleckens Erde einfängt. Professor Nutt wird das Pathos kalt lassen. Er sieht im Wein nur den Alkohol, und der sei Gift für Körper und Gesellschaft. Er hat die Statistiken der Verkehrstoten durch Alkohol studiert, kennt die Gesundheitsschäden bei Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft getrunken haben, analysiert die Gewaltausbrüche in Trinkerfamilien. Ich will das nicht bagatellisieren. Aber was ist mit den Millionen von Wein­trinkern, die vernünftig sind? Sie existieren für den Professor nicht. Für Filigrantrinker hätte ich noch ein anderes Gift bereit: einen Rotwein, so fein und zart am Gaumen, dass man ihn für einen Burgunder halten könnte. Doch die Trauben heißen Xinomavro, Krassato, Stavroto, und sie wachsen auf 800 Metern am höchsten Berg Griechenlands, dem Olymp. Aus ihnen entsteht ein fantastischer, moderner Rotwein mit strahlend schöner Frucht und fein verschmolzenem Tannin, der die oft bonbonfruchtigen deutschen Spätburgunder ins Reich der Weinlimonaden verweist. Gäbe es mehr von diesem Rapsani, würde Griechenland, da bin ich mir sicher, seine Schulden ganz schnell zurückzahlen können (2015 Rapsani „Terra Petra“, 18,90 Euro, www.the-winehouse.de).

Die Trauben heißen Xinomavro, Krassato, Stavroto, und sie wachsen auf 800 Metern am höchsten Berg Griechenlands, dem Olymp

Schließlich noch ein Wein aus Deutschland. Er wird bei Nicht-Schwaben Kopfschütteln hervorrufen: ein Trollinger. Aber ein Trollinger der neuen Generation, aus ertragsreduziertem Anbau und ein paar Tage länger als üblich auf der Maische gestanden, im Holzfass ausgebaut und „furztrocken“, wie der selige Urschwabe Thaddäus Troll sich ausdrückte. Dieser Trollinger wird nicht aus dem Henkelglas, sondern aus dem Burgunderglas getrunken, und zwar gut gekühlt. Klaus-Dieter Warth aus Untertürkheim, einer der Exponenten dieser Trollinger-Generation, hatte mir ein paar Flaschen zugeschickt. Von wegen Spätzle – zu einem gegrillten Oktopus gibt es, das schwöre ich, nichts Besseres (2015 Cannstadter Zuckerle Trollinger trocken, 7,60 Euro, www.warthwein.de). Unbedingt möchte ich Ihr Augenmerk noch auf einen französischen Sancerre lenken. Einen so guten wie den der Domaine Vacheron findet man selten: hochmine­ra­lisch mit Schwarzer Johannisbeere und Feu­erstein im Bouquet und einer fast rieslingartigen Säure (2017 Sancerre, 21 Euro, www.grubis-weine.de). Ein Wahnsinnswein, würde es im modernen Weinsprech heißen. Dabei ist Jean-Dominique Vacheron überhaupt nicht wahnsinnig, sondern ein vigneron noble, für den nur drei Dinge zählen: die Reben, die Weinberge, die Biodynamie. Das Ergebnis stimmt heiter. Nochmals zu Professor Nutt. Mag sein, dass die Engländer ein bisschen starrköpfig sind. Zornig macht mich aber, wenn eine große süddeutsche Tageszeitung dessen Äußerungen aufgreift und vor dem „giftigen Kulturgut“ beziehungsweise der „gesellschaftlichen Erhöhung von Wein …“ warnt – Zeugnis eines Weinverständnisses, so tief wie die Nordsee bei Ebbe.

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