Jens Priewes Hassweine
Unser Autor Jens Priewe ist gewiss keine Diva, aber manche Weine kommen ihm nicht mehr ins Glas. Da trinkt er lieber nichts - oder einen Kräutertee. Hier bekennt er sich zu seinen Aversionen.
Neulich fragte meine Tischnachbarin: „Herr Priewe, haben Sie auch Weine, die Sie hassen?“ Ich stotterte. Hassen, ein hässliches Wort. Aber ja, es gibt sie, die Hassweine. Jene, die ich im Restaurant nie bestellen und schon gar nicht privat kaufen würde. Bei denen ich, werden sie mir ungefragt vorgesetzt, Bauchweh simuliere und um einen Kräutertee bitte. Nicht weil sie fehlerhaft wären, vielmehr: weil ich persönlich eine starke Abneigung gegen sie hege. Mein Lieblingsfeind? Der Primitivo. Was unter diesem Namen in Weinhandlungen und Supermärkten angeboten wird, ist zu 95 Prozent Schrott, allerdings höchst erfolgreicher: dicke, dunkle Sauce mit 14,5 Volumenprozent Alkohol und mehr, schmeckt nach Vielfruchtmarmelade, Melasse und Mon Cherie, verströmt viel flüchtige Säure und – das Schlimmste – wird mit bis zu 18 Gramm Restzucker aufgepimpt. Will jemand so etwas wirklich trinken? Naive Frage. Kein Supermarkt kann es sich heute leisten, weniger als drei Primitivo im Regal zu haben, und Weinhändler brauchen ihren Laden gar nicht erst aufzusperren ohne diese Art flüssiger Kinderschokolade, gemacht für Menschen, die zwar laut Personalausweis erwachsen sind, deren Geschmackssozialisation aber im Teenageralter stehen geblieben ist. Ein subjektives Urteil, zugegeben. Aber schon bei dem Gedanken an einen schweren Rotwein mit Restsüße bekomme ich Diabetes Typ 2.
Der Lieblingsfeind vom Weinkenner Jens Priewe? Der Primitivo!
Leider ist der Primitivo kein Einzelfall. Auch in Österreich hat sich die Süße heimlich in viele Rotweine eingeschlichen, die eigentlich für ihren trockenen Geschmack bekannt sind: Blau-fränkisch, Zweigelt, Cabernet Sauvignon, Merlot. Der bekannteste Vertreter dieser Rotweinschule ist das Gut Scheiblhofer im Burgenland. Seine Weine tragen Namen wie „Big John“, „The Syrah“ und „The Legends“, zeichnen sich durch massiges Tannin, niedrige Säure und viel neues Holz aus, dazu kommen Alkoholgehalte im Bereich von 14 Prozent. Gibt der hohe Alkohol den Weinen schon einen leicht süßlichen Geschmack, besorgt der Zucker den Rest. Folge: Die Weine sind breit, laut, fett – aber bei der Masse der Rotweintrinker, auch in Deutschland, so beliebt, dass die Scheiblhofer-Keller im Dörfchen Andau an der ungarischen Grenze mittlerweile fast die Länge des Abflugterminals am Flug-hafen Wien-Schwechat erreicht haben. Das Schlimmste, was mir von Scheiblhofer untergekommen ist, heißt „Lovely Merlot“, ein völlig verkitschter Rotwein mit 14,7 Gramm Restzucker. Für die Nutella-Generation ein Highlight. Gegen diesen Primitivo-Klon sind die bekannten süßen Markenrotweine harmlose Limonaden: „Edler von Mornag“ aus Tunesien, „Amselfelder“ aus dem Kosovo, „Dornfelder lieblich“ aus Rheinhessen oder die halbtrockenen südspanischen Crianzas zum „Soloschleckern“, wie es im modernen Verkaufsprech des Weinhandels heißt.
Noch mehr Probleme habe ich mit der neuen Weingeneration von E. & J. Gallo aus Kalifornien. „Dark Horse“ heißt die Marke. Egal ob Cabernet Sauvignon, Merlot, Pinot Noir, Zinfandel – alle sind sie makellos sauber, trocken, wohlschmeckend und echte Bestseller bei Amazon. Was gegen sie spricht? Eigentlich nichts, außer dass die Natur solch glatte Weine nicht liefert. „Dark Horse“, das sind Getränke, gewonnen aus vergorenen Trauben, durch Schönen, Verschneiden, Aromatisieren gekonnt zum flüssigen Leckerli veredelt für ein junges, hippes Partyvolk. In den USA gibt es „Dark Horse“ schon in Dosen. Mangel an Respekt bezeuge ich ganz ungeniert auch gegenüber den vielen Sauvignon, die in jeder Ecke Deutschlands wuchern. Allzu leicht lassen sich die Konsumenten von diesen parfümierten, aufdringlichen Weinen beeindrucken. Dabei ist deren an Erbsenschoten und grüne Paprika erinnerndes Würzaroma nichts anderes als eine Folge unreif gelesener Trauben. Ein Glas, und ich bin satt.
Secco: Ein merkwürdiges Prosecco-Plagiat deutscher Winzer
Selbst mancher Champagner ist vor meinem Hass nicht sicher. Oder besser: vor meiner Verachtung. Jedenfalls gilt das für die bekannten Markenchampagner, mit denen die Wohlhabenden im Lande gern ihren Lifestyle demonstrieren. Bei den meisten dieser Champagner ist im Mund überhaupt nix los, außer Prickeln. Mein Favorit ist diesbezüglich der „Blue Top“ von Heidsieck Monopole, die Nummer vier unter den in Deutschland meistgekauften Champagnern, eine wässrige Lösung mit Spuren von Weingeschmack und Kohlensäure. Wer weiß, wie gute Champagner schmecken können, sollte die Hände von derlei Brause lassen. Wenn ich schon beim sprudelnden Hass bin, darf der Secco nicht fehlen. Dieses merkwürdige Prosecco-Plagiat, bei dem deutsche Winzer minderwertige Partien Wein zum Prickeln bringen, ist für viele Güter ein hübsches Nebengeschäft geworden. Meinetwegen. Besser, als sie im Gully zu versenken. Das Schlimme ist, dass die meisten Secco reines Zuckerwasser sind. Amtlich gelten sie als Perlwein, und Perlweine dürfen, auch wenn „trocken“ auf dem Etikett steht, bis zu 35 Gramm Restzucker enthalten. Eine krasse Verbrauchertäuschung.
So schmackhaft wie Trauben von der Resterampe
Wieso Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner in ihrem berühmt-berüchtigten Video dem Nestlé-Boss öffentlich gratuliert, dass dieser den Zuckergehalt von Nesquik, Choco Crossies, Schöller-Eiscreme und anderen Produkten ein wenig gesenkt hat, aber solche Sünden im eigenen Zuständigkeitsbereich durchgehen lässt, ist schwer begreiflich. Übrigens habe ich auch mit anspruchsvollen Weinen meine Probleme, wenngleich das Wort „Hass“ dafür deplatziert ist: mit vielen südafrikanischen Pinotage, manch argentinischem Malbec, den meisten Lugana und Pinot Grigio aus Italien, jeder Menge missratenen natural wines, manchmal sogar mit französischen Burgundern. Ich denke speziell an den „Laforêt“ aus dem bekannten Weinhandelshaus Drouhin in Beaune. Konzipiert ist dieser Bourgogne Pinot Noir als Einstiegswein, der in großen Mengen hergestellt und günstig (rund 15 Euro) angeboten werden kann. Leider geht die Rechnung nicht auf. Zu diesem Preis gibt es nur Trauben von der Resterampe – aus Randlagen, von jungen Stöcken, deklassiertes Lesegut. Das Resultat ist ein glanzloser Wein, trinkbar, aber fade, ohne jenen Esprit, den man bei Pinot Noir erwartet. Ich schwöre: Gäbe es um mich herum nur „Laforêt“, Secco, „Dark Horse“ oder Primitivo, würde ich das Weintrinken noch heute einstellen.