Unsere Autorin backt einen Stollen

Unsere Autorin backt einen Stollen

Einen richtigen Christstollen selbst backen? Das geht – mit dem Originalrezept der Experten vom „Dresdner Backhaus“. Unsere Autorin hat sich furchtlos ans Werk gemacht. Und siehe da: Weihnachtsvorfreude!
Datum01.10.2019

Text: Okka Rohd

Verschrecken lasse ich mich in der Küche nicht mehr so leicht. Trotzdem traue ich mich an manches bisher nicht ran, ans Wursten zum Beispiel oder an Sushi. Es kommt mir auch vermessen vor, selbst einen Christstollen zu backen. Das liegt an denen, die ich gegessen habe: Kunstwerke, in denen Rosinen, Orangeat, Zitronat, Marzipan und Mandeln perfekt verteilt waren. Sie schmeckten, wie man sich Weihnachten immer nur vorstellt – nach Süße, Groß­zügigkeit und Frieden. Wie soll ich das schaffen? Jetzt aber will ich es doch wissen. Um etwas angemessen bewundern zu können, hilft es schließlich, wenn man eine Ahnung hat, wie es gemacht wird. Die Liebe wird ja auch nicht weniger geheimnisvoll, wenn man sie zu leben versucht. Ganz im Gegenteil: Erst wenn man sich wirklich auf sie einlässt, lernt man ihre Raffinessen und Tiefen kennen (und würdigen). Genau so stelle ich mir das mit dem „Dresdner Christstollen“ vor. Über den weiß ich bereits, dass seine Form für das in Windeln gewickelte Christkind steht und dass die Tradition, einen Weihnachtsstollen zu backen, bis ins Mittelalter zurückgeht: Das Wort „Stollen“ taucht erstmals 1329 auf. Die frühen Stollen waren aber vermutlich eher Weißbrote als Weihnachtsgebäck. Butter kam erst in den Teig, als der Papst dies 1491 auch für die adventliche Fastenzeit erlaubt hatte – gegen Spenden. Der „Dresdner Christ­stollen“, wie wir ihn kennen, wird sogar erst seit dem 20. Jahrhundert gebacken.

Ein guter Stollen ist ein Flüsterstollen – mit so vielen Sultaninen im Teig, dass sie einander zuflüstern könnten

Dabei sind strenge Regeln zu beachten. Auf den Mehl­anteil bezogen, muss ein Original-Stollen mindestens 50 Prozent Butter oder Butterschmalz (auf keinen Fall Margarine!), 65 Prozent Sultaninen, 20 Prozent Orangeat und Zitronat sowie 15 Prozent süße und bittere Mandeln oder Marzipanrohmasse enthalten. Zitronenschalenpaste, Stollengewürz und Spirituosen sind ebenfalls Pflicht. Dann darf der „Dresdner Christstollen“ das europaweit geschützte EU-Qualitätssiegel tragen. Die rund 120 Bäckereien und Konditoreien in und um Dresden, die ihre Ware „Dresdner Christstollen“ nennen möchten, müssen sich bei der jährlichen Stollenprüfung des Schutzverbands das goldene Siegel verdienen. Was mir keine Suchmaschine sagen kann: Wie man so ein Prachtstück zu Hause gebacken bekommt. Eine Frau, die das wissen muss, ist Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller. Sie führt die „Conditorei Kreutzkamm“ in fünfter Generation und das „Dresdner Backhaus“ seit 1993, backt nach einem an die Gegenwart angepassten Familienrezept. Ihr Christstollen schmeckt so buttrig und saftig, dass ich die Weihnachtsglocken schon im Oktober klingen höre. Wie stollig kann ein Stollen sein? Ich seufze. Aber Tino Gierig, Konditor, Bäckermeister und Geschäfts­führer des „Dresdner Backhauses“, ist so ruhig und zuvorkommend, dass ich beim Zusehen meine Versagensangst  vergesse. Er erklärt mir, woran man erkennt, dass ein Hefeteig reif ist. Er erklärt mir auch, dass ein guter Stollen ein „Flüsterstollen“ ist, weil er so viele Rosinen enthält, dass sie einander zuflüstern könnten. Was ich von ganz allein sehe: Es gibt auch so etwas wie Teigflüsterer – etwa Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller, die mit solcher Leidenschaft von dem spricht, was sie tut, dass man in ihrer Gegenwart ganz stollenhungrig wird, und Tino Gierig, der auf jede noch so abwegige Anfängerfrage sofort eine Antwort weiß.

Der Christstollen vom Dresdner Backhaus schmeckt so buttrig und saftig, dass ich die Weihnachtsglocken schon im Oktober klingen höre

Einen Christstollen, lerne ich, kann man nicht mit halbem Herzen backen. Man macht ihn nicht mal eben schnell, sondern mit viel Zeit und Geduld. Zuerst sollten die Rosinen zwei bis drei Tage in Rum durchziehen (ihr Geschmack sollte kein Faustschlag sein). Das Backen selbst beginnt mit einem so­genannten „Hefestück“, einem Vorteig, der dafür sorgen soll, dass die Hefe sich gut entwickeln kann. Ist der fertig, ruht er sich erst einmal aus. In der Zwischenzeit wird aus Butter, Zitronat und Orangeat, Mandeln, Marzipan, Zucker, Zitronenschalenpaste und Stollengewürz das sogenannte „Fettstück“ gemacht, das Herz eines jeden Stollens. Besteht der Vorteig nach etwa 40 Minuten den Fingertest (siehe Tipps), wird er mit Milch und dem Fettstück verknetet. Erst wenn dieser Teig fertig ist, werden vorsichtig die Sultaninen untergehoben, und der Teig darf sich für zehn Minuten entspannen, bevor er zu einer Kugel und danach zu einem Stollen geformt wird. Der schönste Moment: Gierig dabei zuzusehen, wie er einen Stollen modelliert – Pirouetten drehendes Fingerballett, Hände, die nie zögern. Ein paar Sekunden nur, dann ist der Stollen fertig geformt, ruht wieder kurz und kommt anschließend für etwa 50 Minuten in den Ofen. Hinterher pult man die von der Hitze angesengten Sultaninen ab und bestreicht ihn mit flüssiger Butter. Nachdem er sich eine weitere Stunde ausgeruht hat, wiederholt man den Vorgang, nur dass der Stollen nach der zweiten Butterglasur sofort mit Kristallzucker bestreut wird. So verbinden sich Butter und Zucker zu dieser Kruste, die einen ganz wehrlos macht. Jetzt hat der Stollen einen Tag Pause, bis er mit Puderzucker bestäubt wird. Man will sofort davon naschen, aber noch wird der Stollen keineswegs gegessen. Man darf ihn frühestens nach drei Wochen probieren, wenn die Rosinen einander ihre Geschichten zugeflüstert haben und der Stollen sein volles Aroma entfaltet hat. Dieser erste Biss ist das Warten allerdings wert. Vor allem, wenn man seinen ersten eigenen Christstollen backt, was leichter ist als erwartet, wenn man sich exakt an das Rezept hält. Nun gut, mein Stollen wirkt müder als sein Vorbild, sieht mehr nach Raupe Nimmersatt aus als nach Christkind, und die Rosinen schmecken, als wären sie be­trunken. Aber ich freue mich schon über sein schieres, zuckriges Vorhandensein – den nach Weihnachten schmeckenden Beweis, dass es sich lohnt, seiner Liebe hinterher­zu­backen. Mehr Informationen über den Dresdner Stollen finden Sie unter www.dresdnerstollen.de

Mehr Infos von unserer Autorin finden Sie unter: https://okkarohd.com/

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