Bester Baumkuchen – nur von der Rolle

Neulich in einer Hamburger Chocolaterie: Ein gesetzter Herr tritt an den Tresen. "Haben Sie auch Baumkuchenspitzen?", fragt er vorsichtig. Die Verkäuferin nickt. Der Herr zögert. "Von der Rolle? Oder vom Blech?", hakt er nach. "Von der Rolle natürlich", sagt sie – und er ordert freudig: "Dann ein Pfund, bitte." Keine Frage, dieser Kunde hat die entscheidende Frage gestellt – und die richtige Antwort bekommen.
Gut möglich, dass zeitgleich, am anderen Ende des Landes, im Münchner Bezirk Steinhausen, dieser besondere Kuchen entstanden ist: in der Manufaktur der Conditorei Kreutzkamm, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts Spezialistin für Baumkuchen ist, von der Rolle natürlich! "Baumkuchen erfordert den größten Aufwand und macht eine höllische Arbeit", seufzt Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller, Firmenchefin in fünfter Generation.
Wie schmeckt echter Baumkuchen?
Baumkuchen herzustellen, macht Arbeit. Dafür ist der Geschmack himmlisch: leicht und doch saftig mit feiner Vanillenote und aparter Würze, deren Rezeptur Familiengeheimnis ist, wird er entweder mit Vanilleglasur oder Schokolade überzogen.
Wer eine der traditionellen Papiertüten voller Baumkuchenspitzen öffnet, den süßen Duft einatmet, ein Stück auf der Zunge hatte, kann meistens nicht mehr aufhören, immer und immer wieder hineinzugreifen. Suchtpotenzial pur, dem auch die 55-jährige Inhaberin gern erliegt – "am liebsten bei langen Autofahrten."
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Was ist das Besondere an Baumkuchen?
In den Ofen schieben, Klappe zu – so funktioniert das beim Baumkuchen nicht. Davon überzeugen kann man sich in der Manufaktur. In einer Ecke steht ein offener Backofen aus Metall, groß wie ein Familienkleiderschrank, in der Mitte eine runde Walze. Nur drei von insgesamt 60 Mitarbeiter:innen beherrschen das Gesetz von Fingerspitzengefühl, Konzentration und Geduld, das entscheidend ist für die Qualität.
"Für Baumkuchen werden in der Weihnachtszeit täglich per Hand 1.200 Eier aufgeschlagen und getrennt", erzählt Elisabeth Kreutzkamm. Eine Maschine oder Fertigware würde schon alles verderben. Eigelb-Marzipan-Masse und schaumig geschlagenes Eiweiß werden dann mit Butterfett und Weizenpuder vorsichtig vermengt, bis die perfekt cremige Konsistenz erreicht ist (keine Zusatzstoffe!).
Schicht für Schicht wird die Masse auf die Rolle gestrichen, die über einer offenen Gasflamme mit 400 Grad Hitze gedreht wird. Der Teig darf nicht zu flüssig sein, darf nicht verbrennen oder zu trocken werden. Ganze 90 Minuten arbeitet ein:e Konditor:in an der Walze, bis ein Exemplar fertig ist, immer mit dem Gardemaß: 125 Zentimeter hoch, 25 Kilo schwer.
Wann isst man Baumkuchen?
20 Tonnen Baumkuchen entstehen in der Conditorei Kreutzkamm im Jahr, umgerechnet rund 45.000 Stück. Auch in den USA und in Japan haben sie treue Fans und werden dort in renommierten Delikatessenhäusern verkauft. Früher wurde Baumkuchen nur zu besonderen Anlässen hergestellt, zu Weihnachten, für Hochzeiten und Krönungen, bei Kreutzkamm gibt es ihn immer.
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Woher kommt der originale Baumkuchen?
Erstmals aktenkundig wurde Baumkuchen 1682 in einem Diät-Kochbuch des Leibarztes von Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg. "Der König der Kuchen und der Kuchen der Könige" – so wird Baumkuchen ehrfurchtsvoll genannt.
Welcher hippe Cheese- oder Carrotcake kann das schon von sich sagen? "Neu ist, dass es bei uns nichts Neues gibt", sagt die resolute Chefin der Conditorei Kreutzkamm. "Wir passen uns Trends nicht an, sondern bewahren das Erbe meiner Eltern und Urgroßeltern."
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Die Geschichte der Baumkuchen-Konditorei Kreutzkamm

Und die Familiengeschichte ist wechselvoll. 1825 gründete Jeremias Kreutzkamm am Dresdner Altmarkt den Betrieb als eine der "feinsten Conditoreien"; die sächsischen Könige kamen zur Kaffeestunde gern zu Fuß vom Schloss herüber. In der Bombennacht 1945 dann komplett zerstört, baute die Familie nach dem Krieg das Café mit Backstube neu in der Münchner Maffeistraße auf.
Für Exil-Sachsen, darunter auch der Schriftsteller Erich Kästner, wurde es zum nostalgischen Treffpunkt, Friederike und Fritz Kreutzkamm buken Eierschecke und Stollen gegen Heimweh. Nach dem Mauerfall baute Tochter Elisabeth das Geschäft im Elbflorenz wieder auf und übernahm zudem das Dresdner Backhaus, historische Familienrezepte werden bis heute im Dresdner Stadtarchiv gehütet.
In München kam die Filiale in der Pacellistraße hinzu. Den Firmenstolz des ältesten Familienbetriebs Dresdens nahm die Familie mit nach Bayern. Hier wuchs Elisabeth, heute Mutter von vier Kindern, direkt über der Backstube auf, half ab dem elften Lebensjahr in der Backstube mit, durfte das Café aber nie in Jeans betreten. "Du bist eine Kreutzkamm", mahnte ihre Mutter Friederike, ,"also benimm Dich entsprechend." Die Moden ändern sich, Elisabeth Kreutzkamm trägt heute fast nur noch Jeans. Aber der traditionelle Geschmack bleibt!
Baumkuchen kaufen in der Conditorei Kreutzkamm
Ein Muss für jeden Besucher der Stadt: 1825 eröffnete Urahn Jeremias Kreutzkamm seine „Conditorei“ am Altmarkt, schon damals berühmt für den Kuchen, Gebäck und den Dresdner Stollen. Beim Bombenangriff wurde der Betrieb zerstört, die Familie fing in München neu an (siehe S. XX). Nach dem Mauerfall wurde wieder ein Café Kreutzkamm am Altmarkt eröffnet, klein und fein, nach dem Original im Art-Déco-Stil und mit Schwarz-Weiß-Kunst an der Wand. 20 Blechkuchen, Herren- und Prinzregententorte, original Dresdner Eierschecke, Baumkuchen, trendige Naked Cakes, dazu ein großes Angebot an Kaffee- und Teespezialitäten. Wie im Schwesterbetrieb Dresdner Backhaus auch hier unverzichtbar im Advent: der saftige Stollen. Auch für den Nachwuchs ist gesorgt - mit einem Spielplatz im Café.
Kreutzkamms Münchner Stammhaus liegt äußerlich eher unscheinbar am Außenrand der heutigen Fünf Höfe: ein langer, schlanker Raum mit rund 30 Plätzen, kaffeehaushaft dekoriert in Elfenbeinweiß und Art-déco. Ein optisches Gegengewicht bietet die lichtere Filiale in der Maxburg, nur 500 Meter entfernt: Das helle, etwas kühlere Ambiente aus Bugholzstühlen und bunten MDF-Tischen lenkt dabei auch hier nicht vom klassischen Gebäck ab, mit dem es der Dresdner Julius Kreutzkamm im 19 Jahrhundert zum sächsischen Hoflieferanten brachte. In beiden Münchner Cafés atmen Punsch-, Walnuss- und Herrentorte den Geist zurückliegender Konditorei-Epochen, Christstollen und Baumkuchen werden weltweit versandt.
Kreutzkamms sind der älteste Familienbetrieb in der Stadt, 1825 haben sie hier eine Konditorei gegründet, haben sich nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg in München niedergelassen und nach dem Mauerfall 1993 das Backhaus übernommen, heute geleitet von Tino Gierig, Konditor, Bäckermeister und einer der ersten deutschen Brotsommeliers, sowie Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller, der fünften Generation. Neben sehr gutem Brot, Brötchen und Baguettes steht der Betrieb natürlich auch für den mehrfach ausgezeichneten saftigen Christstollen, eine große Anzahl untadeliger Torten, Kuchen, Petits Fours und Eierlikör!. Ob im Gastraum in stylishem Eichenholz-Schwarz-Design oder auf der Terrasse, hier herrscht immer buntes Leben. Vielfalt ist aber auch Motto bei den Mitarbeitern - so ist der Betrieb mit dem Integrationspreis der Landeshauptstadt geehrt worden.