Junge Weinbauer vom Rheingau: Weintipps für Genießer

Junge Weinbauer vom Rheingau: Weintipps für jeden Tag & besondere Momente

Der Rheingau zählt zu den traditionsreichsten Anbaugebieten Deutschlands. Eine junge Generation von Weinmachern lässt sich davon nicht einschüchtern – und interpretiert das Gebiet neu
Datum09.04.2022
„Ich bin nur ein Teil in der Generationsfolge. Ich möchte meinen Abschnitt prägen und dabei das Gesamtgefüge erhalten.“ Aurelie Wehrheim-Hamm

DIE TRADITIONSBEWUSSTE

Aurelia Wehrheim-Hamm, Oestrich-Winkel

 
Das Reich von Aurelia Wehrheim-Hamm ist ein Kreuzgewölbe, das selbst für den Rheingau außergewöhnlich ist. Steinsäulen tragen das Dach, dazwischen stehen ihre Fässer. Von der Decke schält sich Kellerflora. „Diese Mikroorganismen sind wichtig für uns und unsere Weine. Sie sind unser Kellergeist“, sagt sie. Wehrheim-Hamm ist Nachfolgerin im Weingut Hamm in Oestrich-Winkel. Die 29-Jährige leitet den Betrieb gemeinsam mit ihrem Bruder. „Wir können mit Reben arbeiten, die noch nie Spritzmittel gesehen haben. Dafür sind wir unseren Eltern sehr dankbar“, sagt sie. Schon in den 1970er-Jahren hat der Vater den chemischen Pflanzenschutz verbannt. Die Winzerin setzt auf eine Kombination aus Holz- und Edelstahlfässern, deren Weine sie miteinander vereint. Das ergibt Rieslinge, die in sich stimmig, saftig und schmelzig ins Glas kommen. Komplex, aber niemals überfordernd. „Ich verfolge eine klassische Handschrift, bei uns gibt es nach wie vor Weine in traditioneller Rheingaustilistik“, sagt sie. Die Winzerin überlegt genau, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss und welche zur DNA des Weinguts gehören. „Ich will auf Traditionen aufbauen und nicht alles neu machen“, sagt sie. Damit gehört sie zu den Ausnahmen, die nicht aus Prinzip alles auf den Kopf stellen. Die Etiketten sind bis heute gleich: traditionell mit Familienwappen. „Ich bin nur ein Teil in der Generationenfolge. Ich möchte meinen Abschnitt prägen, doch das Gesamtgefüge soll gleich bleiben“, sagt sie. Dazu gehört auch eine gemütliche Weinstube mit lauschigem Innenhof, der von Olivenbäumen gerahmt wird. Besucher können hier die Weine genießen und das historische Flair des Ensembles erleben. Jedes Jahr legt Aurelia Hamm 300 Flaschen zurück in den Keller. Zur Tradition zählt eben auch der Gedanke an die Zukunft.
 

Wein für jeden Tag

Riesling „Junge Reben“ VDP.Gutswein

Der besondere Wein

Riesling „Alte Reben“ Spätlese

Flagship-Wein

Riesling Dachsberg VDP.Erste Lage
Die Brüder Marius (r.) und Marcel Dillmann haben die Freizeitbeschäftigung ihrer Eltern zum Hauptberuf gemacht: ein kleines Weingut

DIE NEUSTARTER

Marius und Marcel Dillmann, Geisenheim

 
An diesem Nachmittag ist es auf dem Weingut Dillmann trubelig: Am nächsten Tag soll die familieneigene Straußwirtschaft öffnen, wobei der Begriff „Lounge“ das Ambiente wohl besser trifft: Es stehen bereits Paletten und Liegestühle bereit, auf denen man es sich mit Blick auf die Reben bei einem Glas Wein gemütlich machen kann. Dazwischen ein DJ-Pult, ein Weinstand und die beiden Brüder Marius und Marcel Dillmann. Wer den beiden zuschaut, weiß oft gar nicht, wo ihre Arbeit aufhört und ihre Freizeit anfängt, so viel Vergnügen strahlen sie bei ihrem Tun aus. Seit einigen Jahren führen die beiden das Weingut, das einst eine Freizeitbeschäftigung ihres Vaters war. Dieser hatte eigentlich einen ganz anderen Beruf und pflegte nach Feierabend ein paar Weinberge. Die Söhne halfen immer mal wieder mit. Als Marcel 2014 mit der Schule fertig ist, verkündet er, das Hobby des Vaters zum Beruf zu machen. Marius studiert zeitgleich Sport, und als die beiden fertig sind, beschließen sie 2017, das Weingut zusammen zu übernehmen. Sie leben die perfekte Mischung aus Improvisationstalent und zuversichtlicher Hands-on-Mentalität. So verdreifachten sie in den letzten Jahren die Rebfläche und bauten eine Halle am Rand von Geisenheim. „Als wir die Unterschrift bei der Bank geleistet haben, war klar: Jetzt gibt’s kein Zurück“, sagt Marius und lacht auf, denn es ist augenscheinlich gut gegangen. Obwohl sie stetig wachsen, sind all ihre Weine bislang nach spätestens einem Jahr ausverkauft. Die Aufgabenbereiche haben die beiden klar aufgeteilt. Während Marcel frühmorgens im Weinberg zu finden ist, steht Marius spätabends hinter dem Weinstand oder auf einer Verkaufsveranstaltung. „Wir sind sehr unterschiedlich, aber bei den Zielen einer Meinung – deshalb harmoniert es so gut“, sagt Marcel. Und eine Vision für ihr Weingut haben sie. So war für beide klar, dass sie auf biologischen Anbau umstellen wollen. Auch der Stil der Weine hat sich im Vergleich zu denen des Vaters verändert: Die Weine sind kantiger, viele sind ungefiltert oder orientieren sich deutlich an der Naturweinszene. Sie entwickeln sich stets weiter – ganz in der typischen Dynamik des Weinguts.

Wein für jeden Tag

Der besondere Wein

Flagship-Wein

Kläuserweg Riesling trocken

"Ich brauche keinen Sport, das ist mein tägliches Fitnessprogramm.“ Carolin Weiler

DIE MUTIGE

Carolin Weiler, Lorch

 
Wenn Carolin Weiler die Historie ihrer Familie erleben will, öffnet sie in ihrem Keller eine Tür und läuft durch einen schmalen Geheimgang. Es ist kühl, und der Boden ist leicht abschüssig. Nach rund 20 Metern erreicht sie einen unterirdischen Stollen. Es riecht nach nassen Steinen, und die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass es alle paar Sekunden von der Decke tropft. Ihr Großvater hat diese Höhle vor Jahrzehnten entdeckt, mitten im Quarzitgestein. Und war so begeistert davon, dass er begann, hier Wein auszubauen. Diese Arbeit möchte nun seine Enkelin weiterführen. Mit diesem Plan traf sie zunächst auf Widerstände. „In meiner Familie war klar, dass einer meiner Brüder das Weingut übernehmen sollte“, erzählt sie. So arbeitete sie mehrere Jahre lang als Erzieherin. Doch dann geschahen zwei Dinge parallel: Während ihr die Arbeit mit den Trauben immer stärker fehlte, merkten ihre Brüder, dass sie eigentlich keine Winzer sein wollten. Also eröffnete sie ihrem Vater, dass sie nun das Ruder übernehmen wolle; Irritation hin oder her. Sie holte ihr Abitur nach und fing an, Weinbau zu studieren. „Es ist diese Arbeit in der Natur, im Extremen, die mich zutiefst erfüllt. Ich stehe jeden Morgen auf und freue mich“, sagt sie. Diese Begeisterung versteht man am besten an ihrem Lieblingsplatz über der Lage Lorcher Bodental-Steinberg. Im Tal trägt der Rhein Containerschiffe vorbei, auf der anderen Seite kann man eine Burg sehen. Dazwischen Weinberge in ihrer extremsten Form, bis zu 70 Grad geneigt. Man sollte schwindelfrei sein, so steil fallen die Hänge hinter dem Weg ab. Ein Arbeitsplatz, der vollen Körpereinsatz fordert. „Ich brauche keinen Sport, das ist mein tägliches Fitnessprogramm“, sagt Weiler. Dieser Teil des Rheingaus unterscheidet sich von all den Gemeinden, die näher an Wiesbaden liegen. Das kann man nicht nur an den steilen Hängen sehen, sondern auch am Boden. Nur hier gibt es neben Schiefer auch Quarzitboden. Weiler will das in ihren Weinen schmeckbar machen: Schon die Einstiegsweine hat sie nach den beiden Gesteinsarten eingeteilt. Wachsen möchte sie mit ihrem Weingut nicht. „Ich will, dass jede Traube durch meine Hände geht“, sagt die Winzerin.

Wein für jeden Tag

Der besondere Wein

Riesling Quarzit trocken

Flagship-Wein

Die Biodynamie war für Peter Bernhard Kühn der Grund, ins elterliche Weingut einzusteigen

DER ÖKOLOGISCHE

Peter Bernhard Kühn, Oestrich-Winkel

 
Eigentlich hatte sich Peter Bernhard Kühn entschlossen, einen anderen Beruf als sein Vater zu ergreifen. Sport und Journalismus faszinierten ihn, der Job des Sportreporters war sein Traum, er hatte sich sogar schon eine Hochschule herausgesucht. Doch seine Berufsorientierung fiel genau in die Zeit, in der seine Eltern mit ihrem Weingut etwas wagten: den Schritt in die Biodynamie. „Die Entwicklung vom klassischen Weingut zum biodynamischen und der damit verbundene Wandel war für mich ein Abholpunkt. Mit dem Wechsel kam eine Perspektive für mich rein, die mich fasziniert hat“, sagt Peter Kühn heute. Er änderte seinen Zukunftsplan und entschied sich, in den Betrieb einzusteigen – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie sehr sich die biodynamische Sichtweise von der konventionellen unterscheidet. Die Biodynamie geht weiter als der rein ökologische Anbau. Sie begreift ein Weingut als Gesamtorganismus, setzt auf spezielle Präparate, die die Böden stärken, auch der Mond spielt eine wichtige Rolle. Sie ist insgesamt feinsinniger, für manche gar spirituell, doch aufgrund des damit einhergehenden Qualitätssprungs im Spitzenbereich der Weinbranche angekommen. Das Weingut Peter Jakob Kühn in Oestrich-Winkel zählt zu den Pionierbetrieben dieser Anbauart. Nun liegt es an Peter, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Wer Sohn eines bekannten Winzers ist, steht oftmals vor der Herausforderung, eigene Akzente zu setzen. Doch Kühn ist ein ruhiger Mensch, der selten das Rampenlicht sucht. Auch die Art, wie er das Weingut prägt und in die Zukunft führt, ist geräuschlos. Es sind kleine Rädchen, die in der Summe das Weingut massiv weiterentwickeln. „Im Vergleich zu 2012 haben wir alles geändert: Lesezeitpunkte, Presstechniken, den Ausbau. Doch es waren alles langsame Prozesse, die oftmals an bestehendes angeknüpft haben. Mir geht es nicht um einen Richtungswechsel, sondern um Weiterentwicklung“, sagt er. Der Stil der Kühn-Weine ist einzigartig. Sie sind leise und kraftvoll, eigenständig, unverwechselbar und voller Spannung. In diesem Jahr ist das Weingut in den Kreis der Betriebe mit 5 F im Weinguide des FEINSCHMECKERS aufgestiegen. „Die Weine haben den Charakter, weil wir tun, was wir tun. Doch wir tun nicht das, was wir tun, um diesen Stil zu bekommen“, sagt er.

Wein für jeden Tag

Der besondere Wein

Flagship-Wein

St. Nikolaus Riesling Großes Gewächs

Phillip König wurde von jetzt auf gleich zum Chef eines etablierten Weinguts

UNGEPLANT CHEF

Philipp König, Assmannshausen

 
Wenn ein Weingut von einer Generation auf die nächste übergeht, beginnt meist ein jahrelanger Prozess. Im besten Fall laufen Abgeben und Übernehmen nahezu synchron. Ganz anders war das bei Philipp König, der von jetzt auf gleich zum Chef eines etablierten Weinguts wurde. Der 25-Jährige ist ein ruhiger Mensch, kräftige Schultern, wache blaue Augen. Sein Weingut liegt eher versteckt außerhalb von Assmannshausen im mittleren Rheingau. Früher war der Betrieb mal ein Baugewerbe, die immense Fläche des Anwesens mitsamt großen Hallen erzählt heute noch davon. Königs Vater Robert hat daraus in den 1980er-Jahren ein reines Weingut gemacht. Von Anfang an konzentrierte sich dieser auf Spätburgunder und wurde damit binnen weniger Jahre zur Benchmark für die gesamte Region. „Ich verbrachte meine ganzen Ferien und Wochenenden mit Weingutsarbeit“, erzählt sein Sohn Philipp heute. Das Weingut faszinierte ihn so sehr, dass er sich entschloss, Weinbau zu studieren. Doch bevor das erste Semester richtig angefangen hatte, starb sein Vater unerwartet. Und wenige Monate später steht Philipp im Weinberg und übernimmt. 2017 sollte sein erster Jahrgang in Eigenverantwortung werden. Philipp improvisiert, er fragt Kollegen um Rat oder erinnert sich ans Mithelfen. Seine größte Motivation: Er hat eine klare Vorstellung davon, wie seine Weine sein sollen. So bleibt er der Hauptrebsorte seines Vaters treu: König baut fast ausschließlich Spätburgunder an. Doch er entwickelt eine eigene Handschrift, die sich auch vom Vater abgrenzt. Im Vergleich zu früher seien die Weine trockener geworden, mehr vom Holz geprägt, mit mehr Tannin ausgestattet. Der junge Winzer zählt mittlerweile zu den großen Rotweintalenten im Rheingau. Seine Spätburgunder sind elegant, balanciert und in sich stimmig. In diesem Jahr wird er seinen fünften Jahrgang keltern.
 

Wein für jeden Tag

Der besondere Wein

Flagship-Wein

2019 Höllenberg Zenit Spätburgunder

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