Maria Groß: "Wer bei uns isst, bleibt nicht für sich"

Maria Groß im Interview: "Wer bei uns isst, bleibt nicht für sich"

Küchenchefin Maria Groß bewirtet gemeinsam mit ihrem Partner in der "Bachstelze" bei Erfurt rund 30 Gäste, die sich im lässig-gemütlichen Ambiente wohlfühlen. "Champagner und Trainingshose schließen sich nicht aus", sagt sie über das Motto des Restaurants. DER FEINSCHMECKER traf sie zum Interview.
Datum24.02.2023

DER FEINSCHMECKER: Liebe Frau Groß, warum nennen Sie sich „Maria Ostzone“?

Maria Groß: Wir sind eine junge aufstrebende Kraft im Osten, wir ziehen etwas Neues auf, nämlich authentische, regionale Wohlfühlküche auf Spitzenniveau. Der Name sollte ursprünglich Sprengkraft haben, hat sich über die Jahre aber als Marke entwickelt. Die Kommunisten haben den Begriff „Ostzone“ ja nie anerkannt, wir stehen für Liberalität.

DER FEINSCHMECKER: Sie stammen aus der ehemaligen DDR. Was ist an Ihnen noch „Ostzone“?

Maria Groß: Ich bin ein Thüringer Mädchen, viele sind hier auch stolz auf mich. Nachhaltigkeit, fermentieren, trocknen, all das, was heute so angesagt ist, war Teil des normalen DDR-Lebens. Wer Hunger hatte, aß Kartoffelpüree mit Gulasch, keinen Toast mit Scheiblettenkäse. Wir haben immer gekocht. Dass dies heute hip ist, zeigt, wie entfremdet die Menschen sind.

Maria Groß über die Entscheidung, ihr Hobby zum Beruf zu machen

DER FEINSCHMECKER: Apropos kochen, Sie sind ja absolute Quereinsteigerin.

Maria Groß: Ja, an der Humboldt-Universität in Berlin habe ich Germanistik studiert, und um Geld zu verdienen, bei einem amerikanischen Paar im Grunewald als Privatköchin gejobbt. Die haben alle Ernährungsphilosophien durchexerziert: Montignac, Ayurveda, Blutgruppen-Diät, aber auch Schmorbraten – und alles durfte nur bio sein. Da habe ich festgestellt, dass mich Kochen nicht stresst, sondern entspannt – und beschlossen, mein Hobby zum Beruf zu machen.

>> Take Five: So kocht Maria Groß Kaninchenrücken mit Parmesan und schwarzem Trüffel

DER FEINSCHMECKER: Auch Ihr Partner, Matthias Steube, ist Quereinsteiger und hat Marketing studiert, kümmert sich heute um Restaurant, Gäste und Weine. Was ist der Vorteil, wenn man von außen kommt?

Maria Groß: Die eigene Handschrift schneller entwickeln zu können. Zudem Dinge zu hinterfragen, die oft für Gelernte gottgegeben sind, ohne dies je so wahrzunehmen. Und sich ohne Gönner und Wegbereiter durchzusetzen.

Maria Groß und ihr Partner Matthias Steube (siehe Bild Mitte) betreiben die "Bachstelze" in Erfurt. 

DER FEINSCHMECKER: Und wie ist es, als Paar so eng zusammen zuarbeiten?

Maria Groß: Jeder hat seinen Bereich und mischt sich beim anderen nicht ein. Beziehung bedeutet aber immer Arbeit, und wenn man zusammenarbeitet: doppelte Arbeit. Wir gehen gemeinsam mit offenen Augen durch die Welt und bleiben kreativ.

Marias Abendmahl in der Villa Kunterbunt

DER FEINSCHMECKER: Was macht Ihr Restaurant „Bachstelze“ zu einem besonderen Ort?

Maria Groß: Wir wohnen hier auch, das Restaurant ist unser Zuhause. Wir sind zu zweit mit einem Angestellten, das ist Segen und Fluch zugleich. Wer bei uns isst, bleibt nicht für sich. Matthias hält eine Ansprache, es wird gemeinsam angestoßen, oft auch gemeinsam gesungen, und alle essen ein Überraschungsmenü, das aus 14 Komponenten besteht: Marias Abendmahl. Wir machen auch Lesungen, Barbecue, Gartenpartys. Die Einrichtung ist gemütlich mit viel Klimbim, ich nenne es: Villa Kunterbunt in Thüringen. Wir feiern mit unserer Küche auch die Region und treten kulinarisch für ein neues Selbstbewusstsein im Osten ein, aber mit Humor, ohne moralisch oder zu politisch korrekt zu sein. Unser Motto: Champagner und Trainingshose schließen sich nicht aus.

"Die Apotheke aus der Natur ist ein Riesenthema für mich"

DER FEINSCHMECKER: Wie genau stärken Sie die Region?

Maria Groß: Thüringen bietet eine unzählige Vielfalt an Produkten: Wild, Getreide, Gemüse. Über die Jahre ist unser Netzwerk an Produzenten immer engmaschiger geworden, sodass wir von April bis in den Oktober ausschließlich Regionales servieren dürfen. Im Sommer nutze ich unseren Selbstversorgergarten. Wir haben auch Geschirr von lokalen Künstlern, Gläser vom Glasbläser, Fleisch u. a. aus der Rhön. An Feiertagen servieren wir auch Hummer, da sind wir nicht dogmatisch. Ich sammele Pilze und Kräuter, morgens am Flussufer, und ich habe eine Ausbildung zum Naturcoach gemacht.

DER FEINSCHMECKER: Naturcoach? Das müssen Sie erklären.

Maria Groß: Ich habe gelernt, welche Wildkräuter welche Heilkräfte haben, das ist ein Riesenthema für mich, die Apotheke aus der Natur. Die Verrohung der Menschheit hängt auch mit unserer Ernährung zusammen und dass die wenigsten noch einen Bezug zur Natur haben. Schließlich stand vor dem Kochen das Pflügen, Jagen und Säen. Ohne Natur kein gutes Essen. In Thüringen findet man kaum noch handgemachte Klöße, traurig.

DER FEINSCHMECKER: Sie waren im Fernsehen bei der „Küchenschlacht“ von Tim Mälzer – was kann man von ihm lernen?

Maria Groß: Die Breitenwirkung, mit der er Menschen durch alle Gesellschaftsschichten erreicht, ist beeindruckend, Intellektuelle wie Arbeiter verstehen ihn. Er hat nicht vergessen, woher er kommt, die Bodenständigkeit wird nur oft verdeckt durch seine große Klappe. Für mich ist er ein sehr cooler Typ.

DER FEINSCHMECKER: Was treibt Sie als Köchin gerade um?

Maria Groß: Corona hat gezeigt, dass wir Gastronomen als nicht systemrelevant gelten. Wir müssen für uns selbst Lobbyarbeit machen, mit unseren Konzepten Gäste begeistern. Lebensfreude ist elementar in Krisen, nur so bekommen wir Kraft, alle Probleme zu meistern.

Zu Gast bei Maria Groß

Bachstelze
K N R Q V

Konzept: Refugium und Wohlfühlort ist das Restaurant im Grünen. Persönliche Atmosphäre mit Gerichten zum Teilen, 8-12 Gänge. Auch Gartenpartys, Grill- und Themenabende, Lesungen.
Küche: Autodidaktin Maria Groß ist ein Phänomen und eine Individualistin. Sie kocht in Eigenregie mit Herz und Verstand. Die guten Zutaten kommen von kleineren Produzenten aus der Umgebung (etwa Fleisch aus der Rhön, Schokolade von Goldhelm in Erfurt) wie auch das Geschirr oder die Gläser von Manufakturen. Gemüse und (Heil-)Kräuter sind ihr wichtig, ihre Ausbildung als Naturcoach fließt ein in die Gestaltung der Rezepte ein. Dogmatisch ist sie dabei nicht, es kann auch mal Hummer geben. Dabei sind ihre Gerichte immer sinnlich, verständlich, delikat, etwa der Pilzflan mit knusprigem Speck und Thymian oder Kaninchenrücken mit Parmesan, Serranoschinken, Wintertrüffel und Portwein.
Getränke: Groß’ Partner Matthias Steuben, Quereinsteiger in der Gastronomie, kümmert sich leidenschaftlich um Restaurant, Gäste und den Wein, gern sucht er Gewächse aus Sachsen oder Saale-Unstrut aus.
Atmosphäre: Groß und Steuben bezeichnen ihr Haus, in dem sie auch wohnen, als Villa Kunterbunt – und da ist was dran. Moderner Vintage-Look trifft auf Gemütlichkeit mit persönlicher Note. Schöner Garten, rundum noch mehr Grün. Gäste bleiben hier selten unter sich, sondern bilden schnell eine Genussgemeinschaft.

Hamburger Berg 5, 99094 Erfurt
+49 (0) 361 7968386
www.mariaostzone.de
Mi-Sa 18.30-22.30 Uhr
Menüs € 95 - 165

Die FEINSCHMECKER-Bewertungskriterien

In jeder Hinsicht perfekt
Küche und Service herausragend, Ambiente und Komfort außergewöhnlich
Exzellente Küche, sehr guter Service, Komfort und Ambiente bemerkenswert
Sehr gute Küche, guter Service, angenehmes Ambiente, komfortabel
Gute Küche, ansprechendes Ambiente
Solide Küche, sympathisches Lokal
Bewertung ausgesetzt
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