Lieblingsfeind Grauburgunder

Eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte des deutschen Weinbaus: Aus dem süßlich-cremigen Ruländer der 70er-Jahre ist mit dem Grauburgunder moderner Prägung ein international renommierter, charaktervoller Wein mit vorzüglicher Eignung als vielfältiger Essensbegleiter geworden. Und vor allem: Die Leute mögen ihn! In den vergangenen 25 Jahren hat sich seine Anbaufläche in Deutschland mehr als verdoppelt, und er steht heute hinter Riesling und Müller-Thurgau auf Platz drei der meistangebauten Weißweinreben hierzulande. Doch diese Popularität scheint ihm nun in gewissen Expertenkreisen zum Verhängnis zu werden. Zunehmend mehr Sommeliers streichen den Grauburgunder von ihren Weinkarten – weil er ihnen zu beliebt geworden ist!
Man stelle sich vor, die Zürcher „Kronenhalle“ würde aus diesem Grund das Geschnetzelte von der Karte nehmen, „Harry’s Bar“ in Venedig keinen Bellini mehr servieren oder Volkswagen den Verkauf des Golfs einstellen – ganz einfach, weil ihnen das alles zu beliebt geworden ist. Zugegeben, die Beliebtheit des Grauburgunders hat auch Unmengen an belanglosen Industrieweinen dieser Rebsorte hervorgebracht, wie Master Sommelier Hendrik Thoma an dieser Stelle durchaus zu Recht kritisierte. Doch solche Weinchen haben in Restaurants, die sich einen Sommelier leisten, eigentlich ohnehin nichts verloren. Dass aber den Kellers, Hegers oder Salweys dieser Weinwelt, allesamt Ikonen des deutschen Winzerhandwerks, im Strudel des um sich greifenden Grauburgunder-Bashings ebenfalls die Verbannung von den Karten droht, erscheint mir nun doch absurd.
Bei genauerer Betrachtung geht es hier nämlich nicht so sehr um die Beliebtheit einer Rebsorte, sondern eher um das vielleicht an mancher Stelle etwas aus dem Lot geratene Selbstbild des Sommeliers. Eine allseits beliebte Weinsorte, die sich die Gäste selbst auf der Karte aussuchen können, ist so ziemlich das Gegenteil dessen, mit dem sich ein Sommelier profilieren kann. Jeder Grauburgunder, der bestellt wird, nimmt dem Experten die Möglichkeit, mit einer von ihm empfohlenen außergewöhnlichen Spezialität glänzen zu können.
Was dabei oft vergessen wird: Neben jenen Gästen, die offen für solche neuen Erfahrungen sind, ja diese sogar als elementaren Teil eines gelungenen Restauranterlebnisses ansehen, gibt es eben auch solche, die einfach nur das trinken möchten, was ihnen schmeckt und vertraut ist. Das mag aus der Sicht eines Sommeliers, der dann nicht mit seiner Expertise brillieren kann, langweilig sein, aber ein solcher Gästewunsch ist durchaus legitim.
„Ich nehme nur Weine auf die Karte, die mir auch selbst schmecken“ ist ein Satz, den so mancher Sommelier heutzutage sofort unterschreiben würde, schließlich klingt dies nach kompromisslosem Qualitätsbewusstsein. Doch müsste der Satz nicht eigentlich lauten: „Ich nehme nur Weine auf die Karte, die meinen Gästen auch schmecken“? Wer ein Produkt nur deshalb nicht anbietet, weil es seine Kunden besonders mögen, offenbart letztlich ein seltsames Verständnis von Dienstleistung, bei dem das eigene Sendungsbewusstsein höher gewichtet wird als der Gästewunsch.
Ein wirklich guter Weinberater hat die umfassende Expertise und Erfahrung, um seinen Gästen außergewöhnliche, den Horizont auf köstliche Weise erweiternde Genuss- erlebnisse zu bereiten. Aber er weiß ebenso, dass sein Job manchmal schlicht darin besteht, dem Gast einfach das zu bringen, was er gern mag, und mit perfektem Service zu kredenzen. Ein etwaiger Erziehungsauftrag ist im traditionellen Berufsbild des Sommeliers nicht vorgesehen.
DEUTSCHE GRAUBURGUNDER: FRANK KÄMMERS FAVORITEN
- 2017 Ihringen Winklerberg „Gras im Ofen“ GG, Weingut Dr. Heger
- 2017 Kähner Oberbergen GG, Weingut Franz Keller
- 2017 Achkarren Schlossberg GG, Weingut Franz Keller
- 2018 Burkheim Feuerberg Haslen GG, Weingut Bercher
- 2018 Burkheim Schlossgarten Villinger GG, Weingut Bercher
- 2018 Durbach Plauelrain „Am Bühl“ GG, Weingut Andreas Laible
- 2016 Oberrotweil Henkenberg GG, Weingut Salwey
Weingüter
Seit Rebecca Heger die Verantwortung im Keller übernommen hat, ist der Einsatz von neuem Holz gesunken, sie strebt nach einem puristischeren Weißwein-Stil. Die aktuelle Kollektion zeigt das Weingut auf einem überzeugenden Weg. Eine animierend leichtgewichtige Grauburgunder-Lesart bietet der Ihringer Ortswein, die weißen Großen Gewächse 2023 begeistern: der Weißburgunder „Rappenacker“ mit eleganter Struktur und feinem Grip, der Grauburgunder „Gras im Ofen“ mit einem Spiel von zarter Reduktion und leuchtender Frucht, der steinig-rauchige Chardonnay aus der gleichen Lage mit perfekter Holzbegleitung. Das Spätburgunder-GG-Doppel fächert die Facetten von Winklerberg und Schlossberg wunderbar plastisch auf. Eine starke, eigenständige Kollektion, die Kurs auf 5 F setzt!
Zunächst die im ersten Augenblick nicht ganz so erfreulichen Nachrichten für alle Freunde der Bercher’schen Weine: Arne und Martin Bercher haben sich dazu durchgerungen, ab jetzt die Großen Gewächse noch ein Jahr länger reifen zu lassen, die 2023er-GGs werden wir dann also erst 2026 probieren können. Und nun zur guten Nachricht: Mit den Ersten Gewächsen von 2023 kann man diese Wartezeit (Durststrecke trifft es nicht ganz) hervorragend überbrücken! Auch hier wieder – um uns selbst zu zitieren – ein klarer Fall von „unbedingt die ganze Kollektion probieren“. Im letzten Jahr hatten wir uns bei den Weißburgundern auf den Burkheimer Feuerberg Haslen kapriziert – und auch diesmal kommen wir nicht davon los (schlank, dicht, mineralisch, schwerelos), wobei es ebenso gut der aus der Sasbacher Limburg hätte sein können. Bei den Grauburgundern ist der Jechtinger Eichert unser Favorit (kühl, anregend herbwürzig, leuchtend heller mineralischer Zug), bei den Spätburgundern wiederum der aus der Sasbacher Limburg (dunkel grundierte Hagebutten- bis Kirschfruchtigkeit, Kräuter, ätherische Kräuter, anregend saftiger Säurebogen). Auf 2026, auf die Großen Gewächse, auf das vierte F!
Im vergangenen Jahr ging es aufwärts für das Weingut von Alexander Laible aus der nördlichen Ortenau. Aktuell zeigt sich der Riesling SL als der Vertreter der Hauptrebsorte im Gut mit Trinkfluss hemmender Süße leicht unausgewogen. Gut gefallen haben uns dagegen die Burgunder: Der Weiße Burgunder „Chara“ überzeugt mit zarter Cremigkeit, beim Grauen Burgunder „Wilder Hang“ mischt sich etwas Reife ins stimmige Spiel, während beim prämierten Chardonnay „Heaven“ Frucht und Holz gerade noch etwas nebeneinanderstehen. Verborgen blieb uns der Reiz des „Secret Garden“, einer Cuvée aus Chardonnay und Sauvignon Blanc, deren klare, aber recht einfache Aromenausprägung den Preis von 95 Euro nicht spiegelt. Wir bevorzugen den grasig-gradlinigen Sauvignon Blanc. Probierstube im historischen Mühlen-Häusle von 1856.
Konrad Salwey lässt seinen Spitzenweinen Zeit; die Weißen aus dem Jahrgang 2022 erreichen uns als Fassproben, und auch die Spätburgunder werden künftig drei Jahre im Keller bleiben, ehe sie in den Verkauf gehen. Das ist eine konsequente Entwicklung für den puristischen Winzer, der kein Interesse an der Primärfruchtigkeit hat, sondern in die Tiefe seines Terroirs vordringen will. In der Verkostung ist es eine Hürde, noch unfertige Weine auf den Tisch zu bekommen. Dennoch vermitteln sie einen Eindruck, wie Salwey auch 2022 seine Klasse behauptet: Der Käsleberg Grauburgunder präsentiert sich offen mit präsenter Frucht und schöner Säure, das GG Henkenberg beweist einmal mehr, warum der eleganteste Grauburgunder Deutschlands von Salwey kommt. Bei den Spätburgundern begeistert das GG Eichberg mit funkelnden Ecken und Kanten.

