Beisl, Kaffeehaus, Rindfleischwagerl: Die Würde der österreichischen Küche

Mit dem Begriff Jause sind für mich sehr schöne Erinnerungen verbunden. „Maxl, magst Jause machen?“, fragte meine Tiroler Oma, wenn ich die Ferien bei ihr verbrachte. Ich mochte immer. Was sie dann in einem antiken Heizgerät zubereitete, hatte in meiner Kinderwelt noch keinen Namen, es war eben eine Jause: zwei fast angebrannte Toastbrotscheiben und dazwischen, verschmolzen, Schinken und Käse. Dazu machte sie einen Klecks Tomatenketchup auf den Teller und ermunterte mich, eine Ecke des Toasts darin einzutauchen. Es schmeckte großartig. Erst viele Jahre später stellte ich fest, dass der Schinken-Käse-Toast in ganz Österreich im Kaffeehaus serviert wird, als Übergang vom Morgen zum Mittag, oder vom Nachmittag zum Abend.

Österreich leidet ja bekanntlich darunter, nicht mehr kaiser- und königliche Weltmacht zu sein. Aber kulinarisch ist das schnitzelförmige Alpenland definitiv eine Macht – in New York etwa serviert man an den besten Adressen gerade gern Grünen Veltliner, zum Beispiel von Mathias Hirtzberger aus der Wachau. Neben der französischen und italienischen Küche hat die österreichische die Esskultur in Europa entscheidend beeinflusst. All die Knödel und Strudel, die heute so selbstverständlich als bayerische Küche zwischen Passau und Garmisch serviert werden, die Schnitzel, Schmarrn und Gugelhupfe – sie wurden ja zuerst in Österreich populär. Denn das große Habsburger Reich sammelte über die Jahrhunderte die Spezialitäten seiner vielen Völker und verfeinerte sie. Entstanden ist dabei eine Küche, die viel Rustikalität und alpine Einfachheit kennt, immer aber auch einen Hauch von höfischer Feinheit mitbringt. Man denke nur an die gloriose Rindfleischküche, die etwa beim „Plachutta“ in Wien heute noch so klassisch zelebriert wird wie zu Zeiten des Kaisers Franz Joseph: mit einer peniblen Liturgie, bestehend aus Suppe, ausgelöstem Mark auf Schwarzbrot – und dann den verschiedenen Zuschnitten des gekochten Rinds nebst Schnittlauchsauce, Spinat und Apfelkren.
„Kulinarisch ist das schnitzelförmige Alpenland Österreich definitiv eine Macht.“
So ein mit Kupfertöpfen beladenes Rindfleischwagerl, das ein strenger Ober an den Tisch rollt, ist Operette und gelebtes gastronomisches Erbe. Denn die österreichische Küche ist vor allem auch eine Gastgeber-Küche, sie wird in Beisln und Wirtschaften, in den Buschenschanken und Kaffeehäusern zelebriert. Wenn im Jargon der Gastrokritiker von „gehobener Wirtshausküche“ die Rede ist, steckt in der Bezeichnung genau der Ort, an dem sie ihre Stärken ausspielen kann. Denn es geht in der österreichischen Küchenkultur um Eierschwammerl und Kalbsrahmgulasch, um Grammeln, wie der köstlich-knusprige ausgelassene Speck genannt wird – und natürlich um das gepflegte Achterl Hauswein. Es geht um Glücklichsein und Melancholie bei Tisch, nicht so sehr um Sterne oder Hauben. In Österreich pflegt man es noch, das Wissen um den Wert einer reifen Marille oder eines guten Kalbfleischs. Diese Haltung zeigt sich auch in dem heiligen Ernst, mit dem ein altgedienter Wiener Kaffeehaus-Ober, sagen wir im „Café Sperl“ oder im „Café Korb“, selbst im dichten Touristentrubel einfach nur ein tadelloses Schnittlauchbrot und zwei Eier im Glas serviert – im Frack, auf angelaufenem Silbertablett, nebst einem Glas Wasser und mit ein bisschen Hochnäsigkeit. Diese gastronomische Würde ist eine schützenswerte Eigenheit und ein lohnendes Exportgut. Weil die Köche in Wien, in Graz oder dem Salzkammergut oft noch wissen oder zumindest ahnen, dass jeder Löffel Butterschmalz in der Schnitzelpfanne und jedes Glas Gemischter Satz eine kulturelle Handlung darstellen und man damit Teil von etwas Größerem wird. Diese nostalgische Verpflichtung kommt den Gästen immer zugute. Die einen denken dabei vielleicht an Franz Joseph, die anderen an Omas Jause.

