Persische Küche in Berlin: Hier fließt die Liebe!

Berlin, Reichenberger Straße: graffitibunte Mietskasernen, Kopfsteinpflaster, Kitas, Cafés, Kneipen. Vor Fahrradläden wird geschraubt, auf dem Trottoir stehen Blumentöpfe. Ein Stück gelassenes Vorwende-Kreuzberg hat sich hier erhalten. Eine völlig andere Welt aber offenbart sich hinter der strahlend weißen Fassade der Nummer 116. Hier, im „Culture and Food Lab“, klappern Töpfe und Pfannen, es duftet nach Märchen und Orient, auf verzierten Messing- und Keramikschalen locken Köstlichkeiten. Die türkisfarbenen und safrangelben Kacheln an Wänden und Küchentresen sind Kopien jahrhundertealter Originale aus Teherans prächtigem Golestanpalast.
Private Dining mit Wow-Effekt

„Manche unserer Gäste sind beim Eintreten völlig außer sich“, sagt Forough. „Sie schauen, strahlen, machen Fotos, rufen Freunde an: ‚Stell dir vor, ich bin mitten in Kreuzberg – was ich hier entdeckt habe!‘“ Manche kämen immer wieder, selbst aus Lübeck, Münster, Leipzig, Hannover. Andere buchen Termine für ein Jahr im Voraus. Öffnungszeiten wie in einem Restaurant gibt es hier nicht, dafür Kochkurse wie „Persische Mezzeh“ oder „Persisches Festtagsmenü“ und auch „Privat Cooking Classes“. Bei den „Private Dining“-Abenden wird an einer festlichen Tafel für zehn bis sechzehn Gäste aufgetischt. Und alles wird geteilt. Wer will, darf am großen Küchentresen moderne persische Cocktails mischen oder auch schon aus Töpfen und Pfannen naschen. Wie in einem der traditionellen Häuser im Mittleren Osten entfalte sich der Zauber im Inneren, sagt Sahar, Foroughs zwölf Minuten jüngere Schwester. „Früher Morgen“ heißt Sahar auf Farsi. Forough bedeutet „Morgendämmerung“.
Von Berliner Gören zu Töchtern der Revolution
Geboren wurden Sie in Berlin. Ihre Eltern waren zum Studium nach Deutschland gekommen und hatten sich hier kennengelernt. Nach Studienende gingen sie zurück nach Teheran. Das war 1978. „Da waren wir fünf und wilde Berliner Gören, wir sprachen auch in der Schule in Teheran miteinander lieber Deutsch“, sagt Sahar. Ein Jahr später kam es zur Iranischen Revolution. Der Schah und seine Familie flohen ins Exil. „Alles war plötzlich anders, wir Mädchen mussten den Hidschab tragen und uns in der Öffentlichkeit unauffällig benehmen.“ Im Gegenzug habe ihre Familie zu Hause für umso mehr Wärme, Liebe, Genuss und Geborgenheit gesorgt: „Unsere Großmutter erzählte Geschichten, wir kochten Marmeladen ein, trockneten Orangenschalen auf Zeitungspapier.“ Schwieriger wurde es für sie als junge Frauen. Tanzen, flirten, alles Westliche war verboten. Festnahmen und Verhöre durch die Polizei blieben auch ihnen nicht erspart.
Neuanfang mit Geschmack
Nach Abschluss ihrer Studien in Meteorologie und Geophysik und auch auf Wunsch der Eltern zogen sie 2000 zum Promovieren zurück nach Berlin. Dr. Forough Sodoudi wurde Expertin für seismische Veränderungen sensibler Erdzonen. Dr. Sahar Sodoudi lehrte Stadtklima und Nachhaltigkeit. Zunehmende menschliche Kälte und Ausgrenzung besonders von Menschen aus dem Mittleren Osten während der letzten Jahre in Deutschland und auch in der Wissenschaft hinterließen jedoch Spuren. „Das Privileg von Bildung bedeutete für uns immer, etwas zurückzugeben“, sagt Sahar. Nach einer dreizehnstündigen ergebnislosen Sitzung zog Forough als Erste den Stecker und kündigte am nächsten Tag. Sahar folgte wenig später. Sie waren sich einig, dass es Zeit war, jene wohlige Wärme, Menschenliebe und dazu die Aromen der Teheraner Kindheit zu aktivieren – und in Berlin mit allen zu teilen! Die Idee zum „Middle Eastern Culture and Food Lab“ war geboren.
Persische Rezepte der ganzen Familie

„Plötzlich sahen wir wieder fröhliche Gesichter um uns“, sagt Sahar. Mit Lust, Elan und akademischer Akribie wurde an Konzept und Umsetzung gefeilt. Rezepte und Kochtipps von Familie und Freunden wurden notiert, Kochbücher studiert. Über 2000 Jahre lässt sich die persische Küche zurückverfolgen. Zu ihren Lieblingsgerichten gehört beispielsweise aromatisches Mirza Ghasemi aus über offenem Feuer gegrillter und mit Knoblauch, Kurkuma und Tomate pürierter Aubergine. Süßlich-erdiges Khoresh Morgh o Aloo, scharf angebratenes und anschließend mit Granatapfelmelasse geschmortes Huhn, wird mit in Gewürzen und Safran gegarten Aprikosen und persischen Pflaumen gereicht. Fesendschān, ein süß-säuerlicher Eintopf aus Huhn, Rind oder Mini-Aubergine sowie Granatapfel-Walnuss-Sauce, Petersilie und persischem Bärenklau, hat seinen Ursprung im 7. Jahrhundert in einer Bergregion am Kaspischen Meer.
Berliner Catering mit persischem Flair

Frische Kräuter und knackiges Gemüse werden zusätzlich zu jedem Gericht gereicht. Die Zubereitung von Persiens berühmtem knusprigem Safranreis, den Forough und Sahar wie einst zu Hause in Teheran noch kunstvoll mit karamellisierten Berberitzen und Pistazienstiften garnieren, wird vor den Gästen mit Stolz zelebriert. Für Kreuzberger Kids, die nach Schulschluss die Nase durch die Tür stecken, gibt es schon mal ein Stück nordiranischen Walnusskuchen mit Kardamom. Wichtiges Standbein ist das inzwischen heiß begehrte Catering, mit dem Berlins mittlerweile bekannteste Zwillinge gute Energie nach Hause liefern – und jede Platte oder Schale ist dabei auch optisch ein Hochgenuss. Lesungen und Musikabende zur vielfältigen persischen Kultur im „Lab“ helfen zusätzlich, Mauern einzureißen. Und das funktioniert!
Ausgezeichnete Gastgeberinnen mit Vision
Im vergangenen November wurde das „Middle Eastern Culture and Food Lab“ von der Jury „Berliner Meisterköche“ zum „Berliner Gastgeber 2024“ gekürt. Im Juli kochen die Schwestern im Berliner Rathaus für den Bürgermeister und 500 Gäste. Mit Medaillen ausgezeichnet wurde Foroughs und Sahars erstes Koch- und Lesebuch „Hier fließt die Liebe – Persische Küche“ (Brandstätter Verlag). Es ist allen iranischen Frauen gewidmet, heißt es im Vorwort – ihre Kraft, Kochkunst und Hingabe sei es, die die Menschen im Iran im wahrsten Sinne des Wortes ernähren. Fotos der wichtigsten iranischen Vordenkerinnen schmücken auch die Wände des „Lab“, darunter ein Foto von Ex-Kaiserin Farah Pahlavi, die bis heute im Exil in Paris lebt. Ein Brief vom 8. März 2025 hängt nun neben ihrem Foto. „Euer Weg, Eure Ausdauer und Euer außerordentlicher Erfolg zeigen, dass Träume wirklich wahr werden können. Mit herzlichen Grüßen, Farah Pahlavi.“