Whiskeys aus Irland: Destillerien von der Grünen Insel
Lange war es still um die Whiskeys aus Irland. Jetzt widmen sich etliche Destillerien auf der Insel aufregenden neuen Abfüllungen, die vor allem junge Fans erobern
Wer hat’s erfunden – das Brennen von Gerstenmalz zu Whisky (schottisch mit y, irisch mit ey)? Über die etwas akademische Frage streiten Schotten und Iren seit Jahrhunderten. Ob wirklich der Hofarzt Padraig MacBeathad, ein Ire, um 1300 die ersten Whiskeys der Welt destilliert hat, bleibt ungewiss. Fest steht nur eines: Whisky in seiner schönsten Form, als Single Malt aus einer einzigen Brennerei aus feinstem Gerstenmalz destilliert, ist eine schottische Angelegenheit. Bis jetzt. Der frühere Konkurrent Irland dümpelte als Zwerg im Schatten des riesigen Nachbarn, mit ganzen vier Brennereien: Bushmills im Norden, Cooley im Osten, Kilbeggan in der Mitte und Middleton im Süden. Dabei gab es bis zum 20. Jahrhundert auf der grünen Insel 200 kleine Brennereien! Ihnen machte zunächst die Prohibition in den USA (der wichtigste Absatzmarkt) den Garaus (1920– 33), danach die aggressive Einkaufsstrategie schottischer und internationaler Konzerne, die reihenweise Brennereien in Irland stilllegten – und sich so die Konkurrenz vom Leib hielten.
Nach dem langen Dornröschenschlaf jetzt absolute Exoten
Doch jetzt tut sich was, und zwar gewaltig: Junge, lässige und aufregende Destillerien sprießen geradezu wie Pilze aus dem Boden Irlands: Waterford, West Cork, Dingle, Glendalough, Sailor’s Home und viele andere. Irischer Whiskey ist hip, weil so viel Dynamik in den neuen Brennereien liegt.
Das freut waschechte Iren natürlich ganz besonders. Whiskykenner und Autor Gearóid O’Callaghan, gebürtig aus Cork, jetzt in Hamburg lebend, schwärmt: „Nach dem langen Dornröschenschlaf gibt es jetzt eine quicklebendige Whiskeyszene! Viele junge, coole Jungs, die experimentieren und Neues wagen: Das ist viel spannenderer Stoff als in Schottland. Jetzt müssen wir nur noch die Fans in Deutschand davon überzeugen, das ist etwas mühsam. Für Whisky-Enthusiasten sind irische Marken noch absolute Exoten.“
Die Nachfrage ist weltweit da
Aber auch Business-Profis wie Dietmar Schulz, Chef des Spirituosenhauses Alba Import, ist auf den Geschmack des irischen Brennstoffs gekommen. „Fast immer werden die irischen Whiskeys dreifach gebrannt, das macht sie am Ende sehr leicht und fruchtig, für Easy Drinking. Aber jetzt gehen junge Firmen neue Wege mit neuen Rezepturen. Ein Whiskey wie ‚The Journey‘ von Sailor’s Home hat uns überrascht, er zeigte eine geradezu brutale Fruchtsüße. Die geben ungemälzte Gerste (grain) ins Eichenfass, ganz ungewöhnlich. Das und die Reifung in einem Rumfass macht ihn so fruchtig und süß, das ist fast schon ein Karamell-Overkill.“ Zwar könnten die Iren, meint Schulz, auch nicht das Rad neu erfinden, aber die Whiskyszene in Europa sei durch sie schon ganz schön durcheinander gewirbelt: „Die Iren können mehr ausprobieren als die Schotten, die stärker an ihre Regeln gebunden sind – wie die Vorschrift, ausschließlich Gerste zu brennen. Es hat sich auf der Insel eine Craft-Distiller-Szene entwickelt, und die Nachfrage ist weltweit da.“
BUSHMILLS: EIN OLDIE WIRD JUNG
Ausgerechnet die „älteste lizenzierte Whiskybrennerei der Welt“, Bushmills aus dem britischen Nordirland, macht mit wilden neuen Abfüllungen von sich reden. Politisch ist Irland zweigeteilt, aber die Whiskybrennereien sehen sich als Einheit und sind gemeinsam in der Irish Whiskey Association (IWA) verbunden. Bushmills hat schon 1608 am Nordkanal, etwa 90 Kilometer nördlich von Belfast, das Recht zum Brennen des „Lebenswassers“ Whiskey bekommen. Typisch für irische Whiskeys wird auch Bushmills dreifach in kupfernen Brennblasen, den Pot Stills, gebrannt, was einen milden Whiskey mit zurückhaltenden Malznoten ergibt. Aromatische Tiefe muss also durch die Holzfassreifung her, und da zeigt Bushmills seit über 15 Jahren die gekonnte Handschrift der Master Blenderin Helen Mulholland. Mulholland hat die Brennerei inzwischen verlassen, aber die Nachfolge ist geregelt – der Job bleibt in weiblicher Hand: Alex Thomas ist quasi neben der Bushmills-Brennerei aufgewachsen und will sich als Master Blenderin beweisen.
Charakterstarkes Caribbean Rum Cask Finish
Schöne Beispiele für feine Fassreifung sind etwa der 21-jährige Bushmills, der in Bourbon- und Oloroso-Sherryfässern lagerte und danach in Madeirafässern (deutliche Röst- und leichte Rauchnoten, Apfel, Zitrus, Kokoswasser, Karamell) und das charakterstarke, eigenwillige Caribbean Rum Cask Finish mit seinen Noten von Vanillle, Toffee, Bananen und gebrannten Mandeln. Noch aufregender ist aber die neue „Causeway Collection” mit einer Reihe Whiskeys in limitierter Auflage (begehrte Sammlerstücke, unbedingt zugreifen!). Der Name der Reihe spielt auf den Giant’s Causeway an, einen bizarr geformten Damm aus Basaltsäulen an der Küste, wenige Meter neben der Destillerie, um den sich viele Legenden ranken. Der schönste Whiskey aus dieser Reihe ist der 10-jährige „Cuvée Cask”, gereift in Fässern von Champagner-Grundwein, aus denen er verblüffende Noten von roten Beeren und Rosen angenommen hat (www.bushmills.com).
GLENDALOUGH: CRAFT-KUMPEL
Die Brennerei liegt nur 50 Kilometer südlich von Dublin in den Wicklow Mountains. Die bewaldeten Berge über stillen Seen sind ein wunderschönes Naturidyll – und noch ein Insider-Reisetipp! Glendalough ist ein Dorf, das noch Reste eines Klosters bewahrt hat, das aus dem siebten Jahrhundert stammen soll und bemerkenswert gut erhalten ist. Der Heilige Kevin hat hier angeblich missioniert– alle Flaschen von Glendalough zeigen den Mönch auf dem Label, im Gebet mit ausgebreiteten Armen. Die Destillerie wurde 2010 von fünf Freunden aus Dublin gegründet, die damit die „erste Craft-Whiskey-Destillerie Irlands“ aufbauten. Die Namen sind zu schön, um sie zu verschweigen: Gary McLoughlin, Brian Fagan, Kevin Keenan, Barry Gallagher, Donal O’Gallachoir. Die Freunde nutzen für ihren Whiskey das Quellwasser aus den Wicklow-Bergen und auch das Holz der dort wachsenden Eichen für ihre Fasslagerung. Als nachhaltiger Betrieb haben sich die Eigentümer verpflichtet, für jede gefällte Eiche sieben junge Eichenbäume zu pflanzen. Das und der sparsame Ressourcenverbrauch trugen ihr einen Nachhaltigkeitspreis ein.
Der Master Distiller heißt Rowdy Rooney und versteht sich auf das Finishing des Whiskeys in besonderen Holzarten, wie zum Beispiel im Fass eines Grand-Cru-Burgunderweins. Weich, cremig und aromatisch vielschichtig bringt er neben üppigen Vanille- und Toffeenoten auch deutliche Frucht ins Glas, wie Kirschen, Pflaumen und etwas Cassis. Spektakulär wird auch das neueste Projekt: ein siebenjähriger Single Malt, der im japanischen Mizunara-Fass aus Wassereichen reifte. Diese für einen irischen Whiskey sehr ungewöhnliche Kombination ist für 2022 angekündigt und wird, höchstwahrscheinlich, weltweit für Furore sorgen (www.glendaloughdistillery.com).
WATERFORD: TERROIR-EXTREME
Die eigenwilligste Destillerie Irlands ist ohne Frage Waterford, wenige Meilen von der irischen Südküste entfernt. Begründet hat die Destillerie 2014 ein Franzose: Mark Reynier, im früheren Leben Händler und Importeur für Bordeaux- und Burgunderweine, Chablis-Winzer, später dann Retter der jahrelang geschlossenen Whiskybrennerei Bruichladdich auf der schottischen Insel Islay. Dreh- und Angelpunkt bei Waterford ist der ins Extreme konzentrierte Terroir-Gedanke: Reynier kauft die Gerste bei über 70 Farmern in Irland – der Erste war Eddie Harpur auf der Halbinsel Bannow Island, eine Autostunde östlich von Waterford. Die Farm gab gleich der Abfüllung den Namen – bis heute das Muster bei Waterford. Reynier führt genauestens Buch über Boden, Wetter, Reifezeiten der Gerste.
Großes Kino und kleine Spielerei
Das Korn wird in der Destillerie, der „Gersten-Kathredale“, getrennt nach Farm, gelagert, gemälzt und schließlich sogar separat destilliert. So entstehen die wohl weltweit ersten „Single Farm Origin Whiskys“ wie der „Tinnashrule“ – gebrannt aus der Gerste des Farmers John Crowley, „nördlich von Enniscorthy“ an den Blackstairs-Bergen, destilliert 2017 und nach drei Jahren und acht Monaten abgefüllt. Tatsächlich enspricht es diesem Terroir-Gedanken, dass der Whisky (Waterford schreibt ihn mit y ohne e) quasi puristisch nach seinem Grundstoff duftet und schmeckt, der Gerste. Ein leichter Kakaoton liegt über diesem Malzaroma, Pfeffer, etwas Rauch und ein Hauch von Orangeat. Auf der Webseite dazu gibt es den Soundtrack von der Farm – Wind, Regen, Vogelgezwitscher. Für eingeschworene Fans ist der Waterford durch seine Malzigkeit großes Kino – und auch eine kleine Spielerei (www.waterfordwhisky.com).

SAILOR’S HOME: EXPERIMENTE
Limerick liegt im Westen Irlands, da wo der Fluss Shannon in den Atlantik mündet. Die Stadt mit mittelalterlichem Kern ist nicht nur Heimat der bekannten Scherzgedichte, sondern auch einer neuen ehrgeizigen Whiskeyfirma: Sailor’s Home. Eine eigene Destillerie hat die Marke bislang nicht, sie nutzt die Brennanlagen von Teeling in Dublin. Sailor’s Home ist seit 2021 auf dem deutschen Markt, erregte aber schon Aufsehen durch seine eigenwilligen Whiskeys. Es sind (höchst gelungene) Experimente des Gründers Cian Quilty mit der Whiskeylegende Dr. Jack O’Sé, der seit vier Jahrzehnten Whiskey brennt und in Irland, aber auch auf der ganzen Welt Whiskeydestillerien berät. „Das Experimentieren mit Aromen ist die Grundidee“, kommentiet O’Sé, „das ist für mich eine Herzensangelegenheit. Mit ungewöhnlichen Repturen und Fässern aus aller Welt wollen wir den irischen Whiskey aufregender machen.“
Das gelingt ohne Weiteres mit „The Journey“: Gebrannt aus gemälzter und ungemälzter Gerste, gereift in frischen Eichenfässern, danach in Ex-Bourbonfässern und zum Schluss in Rumfässern aus Jamaika. Aberwitzig intensiv betört er mit Noten von Vanille, Karamell, eingelegten Kirschen und Rosinen. „The Haven“ ist ähnlich komponiert, dazu noch mit einem Anteil gebrannten Hafers, gereift in Bourbon- und Sherryfässern. Im Duft viel Getreide, Schlehen, Holunderbeeren, Ingwer. Spektakuläre Whiskeys, die, um ehrlich zu sein, ziemlich viele Schotten blass aussehen lassen (www.sailorshomeirishwhiskey.com)!
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