Schottischer Whisky

Schottischer Whisky

Rund 100 schottische Brennereien haben im Laufe der Zeit dicht gemacht. Jetzt lässt Andrew Hogan mit „The Lost Distillery“ die Whiskys von einst auferstehen.
Datum16.09.2019

Text: Kersten Wetenkamp

Wer als Whiskyfreund ein gut sortiertes Fachgeschäft betritt – etwa „Weinquelle Lühmann“ in Hamburg oder „Reifferscheid“ in Bonn –, ist beeindruckt von den bunt und dicht bepackten Regalen: Flaschen über Flaschen von zahllosen Brennereien, ob Single Malt (aus einer einzigen Destillerie) oder Blend (Whisky aus verschiedenen Destillerien „vermählt“). Aber der Eindruck täuscht. „Bis vor 100 Jahren gab es in Schottland noch doppelt so viele Brennereien wie heute“, sagt Andrew Hogan, Schotte und Whiskyexperte: „Die Weltkriege, Überproduktion und natürlich die Prohibition in Amerika von 1919 bis 1933 haben etwa 100 Whiskymarken den Garaus gemacht. Diese Whiskys mit ihrem Charakter sind für uns unwiderruflich verloren.“ Unwiderruflich? Nicht ganz. Denn Hogan, ehemaliger Vertriebsmanager der Brennerei Bruichladdich, überlegte sich mit drei Freunden und Kollegen einen Weg, die untergegangenen Whiskys auferstehen zu lassen. „Wenn wir nur genügend Details über die verschwundenen Brennereien zusammentragen könnten“, erzählt er, „musste es doch möglich sein, durch Blendings bestehender Whiskys dem Ursprungsgeschmack auf die Spur zu kommen.“ Voraussetzung: Hochklassige Whiskyexperten mit Archäologieambition und detailbesessene Historiker mussten zusammenfinden und über Monate am sensorischen Puzzle arbeiten – bis am Ende eine längst entschlafene Whiskymarke wieder erwacht. Andrew Hogan ist das Kunststück gelungen, für das Projekt „The Lost Distillery“ zur richtigen Zeit die richtigen Leute an einen Tisch zu setzen. Dazu gehören als zentrale Gestalten Michael Moss, Historiker an der Universität Glasgow, und der Whisky-Kritiker und Autor Charles MacLean, eine der prominentesten „Whiskynasen“ – zuletzt spielte er eine Gastrolle in Ken Loachs Whiskyfilm „The Angel’s Share“. Charles MacLean probiert und bewertet die „Lost-Distillery“-Malts und schreibt am Ende die Verkostungsnotizen für die einzelnen wiederbelebten Brände.

„The Lost Distillery“ erweckt alten schottischen Whisky wieder zum Leben

„Am Anfang unserer Arbeit steht natürlich die Forschung in den Archiven“, sagt Hogan: „Mit Professor Moss suchen wir in alten Büchern und Aufzeichnungen so akribisch wie möglich alle Details über die Brennerei. Am wichtigsten sind die Brenntechnik und die Grundstoffe wie Wasser und Gerste. Meistens gibt es die Quelle noch, also hilft uns eine Analyse des Wassers schon sehr viel weiter. Wurde Torf verwendet, fürs Trocknen des Malzes oder zum Heizen der Brennblasen? Der Torf mit seinen rauchigen Noten spielt eine große Rolle für die Aromen im Whisky. Wir fahnden nach der Herkunft der Gerste und der Hefestämme. Dann schauen wir uns auf alten Plänen die Brennkessel, die ganze Destillationstechnik an. War sie fortschrittlich oder eher primitiv? Größe und Höhe der Brennblasen geben Hinweise auf denGeschmack. Aus den Büchern erfahren wir, wie viele Liter gebrannt wurden. So machen wir uns ein Bild von Betrieb und Produkt. Dann erstellen wir ein Aromaprofil und nähern uns dem an, indem wir Single Malts miteinander mischen – so lange, bis wir meinen, den Geschmack getroffen zu haben.“ Ob der Originalgeschmack wirklich erreicht wurde, bleibt natürlich eine hypothetische Frage. Aber beim Verkosten der vier „Lost Distillery“-Whiskys, die bis jetzt auf dem Markt sind, muss jeder Whiskyfan zugeben: Der Aufwand hat sich gelohnt, die Brände der „verlorenen Destillerie“ bieten eine ganz neue Erfahrung. „Ein Whisky, der vor 100 Jahren gebrannt wurde, schmeckte vollkommen anders als ein Whisky von heute“, erklärt Hogan: „Früher wurde er gleich nach dem Brennen verkauft und getrunken, heute reift er meist über zwölf Jahre lang in Bourbon- oder Sherryfässern.“ Hogans Malts sind aromatisch komplexe und gewissermaßen schlanke Whiskys – weder gefiltert noch mit Karamell farblich aufgehübscht und auch nicht jahrzehntelang in Fässern gelagert. Also im besten Sinne old-style (very old!), aber zeitgemäß interpretiert.

Schottischer Whisky - Viele Traditionsbetriebe mit langer Geschichte

Wer die bis jetzt unbekannten Marken wie Jericho, Auchnagie oder Stratheden kauft, erhält zum sehr gut gemachten Whisky eine Broschüre mit interessanten Geschichten aus dem Schottland vergangener Jahrhunderte, etwa der über die Destillerie Gerston. Sie lag in Halkirk in Caithness, im rauen Norden Schottlands, und bestand bis 1882. Aus dieser Gegend kommt heute kein Whisky mehr, aber vor 180 Jahren war sie ein Eldorado für mindestens 100 Schwarzbrenner. Ein gewisser Francis Swanson hatte die Brennerei 1796 gegründet. Er und sein Sohn James arbeiteten bis 1875 mit Lizenz, verwendeten aber wie die Schwarzbrenner kleine Brennkessel, die in Küchen oder Abstellkammern passten. Wasser holten sie aus einem nahen Flüsschen. Sie mälzten selber ihre Gerste und trockneten sie mit Torf vom benachbarten Loch Calder. Die Brennanlage betrieben sie ausschließlich mit Torf. Der Whisky reifte in gebrauchten Rumfässern. Gerston war sehr beliebt, zu den prominenten Kunden zählten der Herzog von Wellington, die Bank of England und der Erzbischof von York. Der Enkel des Destilleriegründers war weniger erfolgreich: Donald Swanson, in den 1880er-Jahren Kriminalkommissar bei Scotland Yard, jagte vergebens Jack the Ripper. Schön, dass jetzt die Spürnasen um Andrew Hogan deutlich mehr vorzuzeigen haben.

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