Gastronomie und Geschlecht: Spitzen-Köchinnen übernehmen das Ruder

Gastronomie und Geschlecht: Spitzen-Köchinnen übernehmen das Ruder

Spitzenküche als Männerdomäne? Das ändert sich endlich! Eine neue Generation junger, erfolgreicher Küchen- und Souschefinnen sorgt für Furore in deutschen Toprestaurants
Datum08.03.2021

Hinter der sonnengelben Fassade des „Werneckhofs“ in München-Schwabing tut sich was. Handwerker gehen ein und aus, Weine werden geliefert, Handys klingeln – und mittendrin steht Sigi Schelling und bewahrt kühlen Kopf.

Sigi Schelling: Gehobene Küche mit regionalen Zutaten

Das hat sie gelernt, in 14 Jahren als Souschefin von Hans Haas im „Tantris“. „Meine rechte Hand. Und meine linke“, so nannte er sie. Jetzt, nach dem Ende der Ära Haas, eröffnet sie ihr eigenes Restaurant, den „Werneckhof bei Sigi Schelling“, wenn alles gut geht, im Mai.

Sie will sich und „dem Chef“, wie sie ihn immer noch nennt, treu bleiben: „Es wird sich alles um beste Produkte drehen. Und um den guten Geschmack.“ Angestrengte Tellerakrobatik ist nicht zu erwarten, dafür Spitzenqualität von kleinen Erzeugern, mit denen sie seit Jahren arbeitet.

Mehr Frauen an den Herd!

Ihr Alleingang gilt schon jetzt als eine der meistbeachteten Neueröffnungen nach Corona. Und er setzt ein Signal: Es sieht ganz so aus, als sei die Zeit reif für mehr Weiblichkeit am Herd.

Bisher war jedes Dax-Unternehmen frauenfreundlicher als unsere Fine-Dining-Küchen. Aber das ändert sich gerade, denn nun treten engagierte weibliche Talente mit attraktiven Konzepten an. Sigi Schelling, die mit drei Brüdern auf einem Bauernhof im Bregenzer Wald aufwuchs und im „Tantris“ meist die einzige Frau in der Küche war, hat kein Problem, sich unter Männern zu behaupten. Und sie ist sicher: „Meine Art von Küche wird nach Corona noch mehr gefragt sein.“

Haas unterstützt sie als Ratgeber, ihr zur Seite steht ein eingespieltes Team, sie selbst ist motiviert bis in die Haarspitzen: „Für mich ist Kochen keine Arbeit, sondern Leidenschaft.“ Ihr unverkünstelter Stil passt gut in den stilvollen Gasthof mit dunklen Holztäfelungen und original Jugendstilfenstern, der schon Tohru Nakamura Glück brachte.

Nathalie Leblond

München bietet gerade einen guten Nährboden für eine weiblicher geprägte Spitzenküche – eine weitere Souschefin tritt aus dem Schatten ihres Mentors und startet nach dem Lockdown richtig durch: Nathalie Leblond, bisher an der Seite von Jan Hartwig, übernimmt in einer Doppelspitze mit Gregor Goncharov die „Les Deux“-Küche im Schäfflerhof.

Das puristisch-elegante Restaurant im extravagant keilförmigen Baukörper hat Patron Fabrice Kieffer längst zur fixen Größe der Münchner Szene gemacht. Von dem neuen Duo erhofft er sich, „dass wir kulinarisch noch ein paar PS zulegen“.

Nathalie Leblond: Für mehr hochwertige Bistroküche

Leblond und Goncharov wollen nicht nur die Stilistik des Gourmetrestaurants in der Beletage weiterentwickeln, sondern auch der Brasserie im Parterre mehr Wertigkeit verleihen: „Wirklich gute Bistroküche ist in Deutschland selten“, sagt die immer gut gelaunte junge Frau mit dem langen blonden Pony.

„Wir werden auf hochwertigere Produkte und raffinierte Rezepturen setzen, aber auch das Wohlfühlelement dieser Art von Küche stärker herausarbeiten.“ Mehr französische Einflüsse dürfen es in Zukunft gern sein, zum Beispiel „ein richtig gutes Bœuf bourguignon“.

Typisch für Nathalie Leblond

Gebratener Kaisergranat, dazu grüner Spargel in Misolack und mit Garam-Masala-Mayonnaise

"Geschmackssinn ist eine Frage der Persönlicheit"

Gleich zwei Restaurants auf einmal – und das mit 28 Jahren? Sie ist gewappnet: Spitzenküche lernte sie zunächst in Dirk Luthers „Meierei“, dann in Hartwigs „Atelier“ im Bayerischen Hof. Im Gourmetrestaurant möchte sie in Zukunft „aromatisch mehr an die Grenzen gehen, das Spiel von Süße, Säure und Schärfe richtig ausreizen“.

Die „Les Deux“-typische Stilistik auf klassisch französischer Basis mit asiatischen Akzenten will sie beibehalten, dabei aber vermehrt auf „Klassiker im neuen Gewand“ setzen. Dass Frauen anders kochen als Männer hält Leblond für überkommenes Schubladendenken: „Geschmackssinn ist sehr individuell und viel mehr eine Frage der Persönlichkeit als des Geschlechts.“

Douce Steiner: Die Vorreiterin bekommt Konkurrenz

Douce Steiner, bisher als einzige Frau in Deutschland hoch ausgezeichnet, könnte also bald Gesellschaft bekommen. Als sie Anfang der 1990er-Jahre eine Lehrstelle als Köchin suchte, hörte sie noch den Satz: „Wir nehmen keine Mädchen.“ Das hat sich zwar geändert, aber noch immer sind nur rund 22 Prozent der Auszubildenden Frauen.

Ganz anders in ihrem „Hirschen“ in Sulzburg, wo die Hälfte der Küchenbrigade weiblich ist und Justine Steiner die Lehre bei ihrer Mutter macht. Einen exzellenten Werdegang bringt auch die Berlinerin Sophia Rudolph mit: Nach dem Abitur studierte sie am renommierten Institut Paul Bocuse in Lyon Restaurant- und Hotelmanagement, zu ihren frühen Stationen zählen legendäre Adressen wie „Ousteau de Beaumanière“, in Les-Baux-de Provence.

„Die französische Küche mit ihrem Fokus auf gutem Geschmack, exzellenten Produkten und großer Saucenkunst hat mich geprägt“, sagt sie. Aber auch das multikulturelle Berlin, in das sie zurückkehrte, um vier Jahre mit Marco Müller im „Rutz“ zu kochen, zuletzt als Souschefin, bevor sie im „Panama“ ihre erste Küchenchefstelle antrat.

Gemüse und starke Aromen

Auf der Speisekarte ihres neuen Restaurants „Lovis“, das nach dem Lockdown am ruhigeren Ende der Kantstraße eröffnet, sind französisch-mediterrane Einflüsse, ihre Vorliebe für starke Aromen, aber auch für Gemüse, unverkennbar.

Inspiriert von der südfranzösischen Anchoïade plant sie eine Gemüsevariation, roh mariniert und fermentiert, mit gehobeltem Fenchel, Artischockenchips und feinwürziger Sardellencreme. Oder einen offenen Raviolo: „Statt Pastateig verwenden wir hauchdünne Pilzscheiben als Hülle, füllen sie mit Pilzduxelles, erwärmen das Ganze in Salbeibutter und hobeln gebeiztes Eigelb darüber.“

Anders als vielen männlichen Kollegen geht es der 34-Jährigen weniger darum, möglichst schnell hohe Auszeichnungen zu erkochen: „Ich muss mir selbst nichts beweisen. Mir geht es um die Gäste.“

Von links nach rechts:
Leichte Küche mit feinen Aromen und vielen Kräutern: Délice von Meeresfrüchten von Douce Steiner
Gegrillte Steinpilze mit kräftigen Aromen wie Limette, Knoblauch und Chili, typisch für Sophia Rudolph
Wild mal anders von Viktoria Fuchs: Rebhuhnbrust mit gegrillten Spargel und Blutorangen- Hollandaise

Noch sind engagierte Chefinnen eine Rarität ... 

... aber sie bringen schon jetzt frische Impulse in die Szene ein. Zum Beispiel Viki Fuchs, die im Münstertaler „Spielweg“ mit ihrer Schwester das Traditionshaus weiterführt und die Wildküche des Schwarzwalds mit ihrer Vorliebe für asiatische Aromen aufpeppt. Oder Magdalena Klein, die in der Tegernseer „Fährhütte 14“ die Produkte ihrer oberbayerischen Heimat gewitzt mit mediterranen Einflüssen mixt. Oder Sonja Baumann, die in Köln mit Erik Scheffler das „Neobiota“ gründete, wo die beiden Brunch- mit Gourmetangebot verbinden und ungewöhnliche aromatische Kombinationen wagen.

Auch unter den Souschefinnen sind weitere Talente in Sicht, so etwa Julia Anna Leitner, die im Berliner „Coda“ seit Tag eins eng mit René Frank zusammenarbeitet. Ihren ganz eigenen Weg geht auch Hanna Lehmann im „Laurus“ in Hartmannsdorf bei Chemnitz: Sie brach ihr Germanistikstudium ab, um Köchin zu werden. Und sie schlug nach einem Praktikum bei Johannes King auf Sylt die Festanstellung aus, um in ihre sächsische Heimat zurückzukehren: „Ich möchte nichts mehr nur für den Lebenslauf machen. Sondern, weil es mir entspricht.“

Der bewusste Verzicht auf männlich geprägte Karrierepfade hat sich gelohnt. Ihre leichte Frischeküche prägen über 50 Kräuter aus dem „Laurus-Garten“. Die 25-Jährige kocht nicht für das eigene Ego: „Corona hat gezeigt, wie wichtig Restaurants für unser soziales Gefüge sind. Wir werden in Zukunft noch mehr für das Wohlgefühl der Gäste tun.“

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