Musik in Restaurants: Hört, hört!

Musik in Restaurants: Hört, hört!

Viele Gastrobetriebe spielen noch immer Fahrstuhlmusik – oder gar keine. Dabei können Restaurants und Bars mit durchdachten Soundkonzepten für unvergessliche Sinneserlebnisse sorgen.
Text Antonia Wien
Datum12.05.2025

Es gibt Dinge, die fallen erst auf, wenn sie schlecht laufen. Musik im Restaurant ist so eine Sache. Niemand würde beim Reservieren fragen: „Entschuldigung, wie steht es um Ihre Playlist?“ – und doch weiß jeder, wie quälend ein Abend sein kann, wenn im Hintergrund die falschen Klänge dudeln. Oder schlimmer: wenn gar nichts zu hören ist außer dem klimpernden Besteck und den Gesprächen an Nachbartischen. Dabei ist Musik kein Beiwerk. Sie kann Vertraulichkeit ermöglichen, Atmosphäre schaffen – und Momente unvergessen machen.

Musik als Stimmungsträger

Dass Musik ein wichtiger Träger von Emotionen ist, kennen wir aus der Filmindustrie. Alfred Hitchcocks berühmte Duschszene aus „Psycho“ entfaltet nur mit Bernard Herrmanns scharfen Streicherklängen ihre schauerliche Schockwirkung. Der musikalische Kontrapunkt in Stanley Kubricks „Odyssee im Weltraum“ ohne Strauss und Ligeti? Undenkbar. Und „Star Wars“ ohne John Williams’ intergalaktischen Soundtrack? Erst recht nicht. Warum spielt dann die musikalische Begleitung in so vielen Restaurants keine große Rolle, wenn man doch weiß, dass sie Menschen berührt und das Erleben schärft? Es wird investiert in Beleuchtung, bequeme Stühle, Tableware, die instagrammable sein soll. Und dann malträtieren den Gastraum Klänge wie aus dem Fahrstuhl eines drittklassigen Hotels – und auf der Terrasse läuft die durchgenudelte „Café del Mar“-Playlist.

Musik beeinflusst den Geschmack

Dabei haben wissenschaftliche Studien rund um die Psychoakustik längst bewiesen, dass Musik das Geschmacksempfinden beeinflussen kann. Laut einer Untersuchung der Oxford University schmecken Speisen süßer, wenn sie von hohen Tönen begleitet werden. Tiefe Frequenzen verstärken den Eindruck von Bitterkeit.

Ein Dessert zu leichter Klaviermusik? Plötzlich erscheint die Pannacotta noch cremiger. Eine Espresso-Tarte zu tiefem Bass? Der Kakao wirkt intensiver.

Und das ist nicht verwunderlich – denn Musik stimuliert dieselben Hirnregionen wie der Genuss von Essen. Beides, Geschmack und Musik, weckt Erinnerungen und Assoziationen.

„Sound of the Sea“ – wenn man das Meer schmeckt

Der britische Koch Heston Blumenthal macht dieses Phänomen in seinem Restaurant „The Fat Duck“ bei London mit einem Signature Dish so anschaulich wie kein anderer: Sein berühmtes Gericht „Sound of the Sea“ wird mit einer Muschel serviert, in der ein kleiner iPod mit Kopfhörern steckt. Während die Gäste das Gericht genießen, hören sie das Meer rauschen.

Erinnerungen an unbeschwerte Urlaubstage am Strand werden wach. Das Ergebnis: ein intensiveres Geschmackserlebnis.

„Die Evolution hat uns fünf Sinne geschenkt, die sich gegenseitig beeinflussen. Wir nutzen nie nur einen Sinn“, sagt Blumenthal, der Musik als essenziellen Bestandteil eines ganzheitlichen Empfindens betrachtet.

Klang als vergessener Geschmackssinn

Während Geschmacks-, Geruchs-, Seh- und Tastsinn in der Kulinarik ein perfektes Team bilden, wird der Hörsinn stiefmütterlich behandelt. „Klang ist der vergessene Geschmackssinn“, sagt Blumenthal – und setzt deshalb auf das Know-how erfahrener Sounddesigner und DJs für seine kuratierten Dinner-Playlists.

In Vorbereitung auf die Eröffnung seines Restaurants „Dinner by Heston Blumenthal“ in Dubai schloss sich der Koch stundenlang mit dem DJ Ruben Malca in der heimischen Küche ein. Das Ergebnis: eine Fusion aus Techno und Klassik. Deshalb läuft nun zu Hestons berühmtem „Meat Fruit“ Bachs Air, das schließlich in stramme Beats übergeht – und sich nachhaltig ins Gedächtnis brennt.

Food-Music-Pairing erwünscht!

Zumindest in der Spitzengastronomie hat inzwischen eine wachsende Zahl an Restaurants verstanden, dass sich durchdachte Musikkonzepte positiv auf das Gesamterlebnis auswirken. Die Londoner Bar Lyaness, berühmt für ihre kreativen Cocktails, setzt auf ein dynamisches Drink-Music-Pairing, das an die Tageszeit angepasst ist und den Gast auf diese Weise in die entsprechende Stimmung versetzt. Man beeinflusse damit außerdem die Verweildauer und das Bestellverhalten der Gäste und binde sie mehr, heißt es zur Erklärung. 

Im berühmten Restaurant „L’Ousteau de Baumanière“ in Les Baux-de-Provence beginnt die musikalische Einstimmung schon auf dem Parkplatz. Die poetischen Texte französischer Chansons, die aus den Hecken säuseln, vermitteln Tiefe, Eleganz und eine gewisse Nonchalance. In eine derartige Stimmung versetzt, beginnen viele Gäste das Dinner mit einer Flasche Champagner – die richtige Musik als Upselling-Trick.

Playlists mit Geschmack

Wie gekonnt Playlists eingesetzt werden können, weiß jeder, der einmal im „Frantzén“ in Stockholm war. Schon im dunklen Lift auf dem Weg zum „Living Room“ setzt der psychologische Effekt ein. Mit AC/DCs „Back in Black“ wird nicht nur die Aufmerksamkeit erhöht, sondern auch die Spannung. Eben noch im Alltagsstress, ist man nun ganz in Björn Frantzéns Welt. In seiner Dependance in Dubai betritt man das Restaurant übrigens zu „My Sharona“ von The Knack und wird von einer Gruppe junger Köche am offenen Feuer begrüßt. Der Effekt: ein packendes multisensorisches Erlebnis. Die Energie im Raum ist elektrisierend, und schon jetzt spürt man, dass dieser Abend für immer in Erinnerung bleiben wird.

Musik als Erinnerung an gutes Essen

Neben der atmosphärischen Wirkung nutzen viele Restaurants Musik außerdem als Teil ihrer Markenkommunikation – etwa mithilfe von Spotify. Das „Attica“ von Ben Shewry in Melbourne veröffentlicht regelmäßig seine Playlists auf dem Streaming-Portal und gibt damit den Gästen die Möglichkeit, das Erlebnis zu Hause zu reaktivieren. Der schwedische Spitzenkoch Daniel Berlin trägt mit seiner Playlist aus sanften Indie- und Folkklängen die Magie seines Restaurants „Vyn“ in die Welt und schenkt den begeisterten Gästen gleichzeitig eine Art Souvenir zum Träumen. Wie ein musikalisches Fotoalbum versetzt es sie auf dem heimischen Sofa an die Küste Schonens zurück.

Wer dann den Song hört, der beim Hauptgang lief, schmeckt plötzlich wieder die fantastische Sauce, die es dazu gab, sieht den schönen Teller vor sich und spürt die Atmosphäre des Abends. Ein einzigartiger, gut kuratierter Musikstil kann Teil der Markenidentität werden und dazu führen, dass Gäste wiederkommen, um genau dieses Gesamtkunstwerk erneut zu erleben.

Best Practices: Musik in der Spitzengastronomie

Zunehmend erkennen Toprestaurants das Potenzial von Musik:

Lyaness (London): Drink-Music-Pairing, abgestimmt auf Tageszeit und Stimmung.

L’Ousteau de Baumanière (Les Baux-de-Provence): Französische Chansons schon auf dem Parkplatz – als Einstimmung mit Eleganz.

Frantzén (Stockholm & Dubai): Musik als Teil der Dramaturgie – von „Back in Black“ im Aufzug bis zu „My Sharona“ am offenen Feuer.

Tohru Nakamura (München): Klassischer Jazz zum Start, Soul beim Hauptgang, Lounge zum Digestif – eine kulinarisch-akustische Reise.

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