Olivenölverkostung – So gehen Sie vor

Olivenöl verkosten und bewerten

 Der Ölwechsel wird fällig: Ein neuer Jahrgang von Olivenölen ist auf dem Markt. Unsere Expertenjury hat sie probiert und sich an ihren Düften berauscht. FEINSCHMECKER-Redakteur und Olivenöl Experte Kersten Wetenkamp gibt Einblicke in die Verkostung.
Datum20.08.2019

Der reine Wahnsinn: Olivenölprobe beim FEINSCHMECKER. Elf Experten, aufgeteilt in drei Gruppen, verkosten an drei Tagen insgesamt rund 500 Olivenöle. Für jeden Juror sind das pro Tag zwischen 50 und 70, so viele wie möglich davon am Vormittag, solange die Geschmacksnerven frisch und empfindsam sind. In dieser Mammutverkostung sind wir erprobt. Seit 2003 schmecken wir uns im großen Stil durch Olivenöle auf der Suche nach der Welt­elite des grünen Golds: Die besten 50 Olivenöle werden im Printheft Der Feinschmecker veröffentlicht, weitere 100 auf unserer Website (www.feinschmecker.de). Den OLIO Award bekommt die Crème de la Crème, die drei Gruppensieger in den drei Kategorien „leicht fruchtig“, „mittelfruchtig“ und „intensiv fruchtig“. 

In diesem Jahr geben wir außerdem erstmals jedem Olivenöl eine Bewertung mit dem FEINSCHMECKER-f. Dazu ehren wir mit einem Sonderpreis den Newcomer des Jahres: die erst 2016 gegründete Ölmühle Novavera aus der Türkei. Zur Probe stehen Olivenöle aus zwölf Ländern, vom Gardasee in Norditalien bis zum Finniss River in Südaustralien; auch Betriebe aus Kalifornien, Tunesien und Slowenien haben Olivenöl aus dem neuen Winterjahrgang 2018/19 ins Rennen geschickt. Wie beim FEINSCHMECKER selbstverständlich, ist es eine Blindprobe. Auf den transparenten Probierbechern kleben Nummern, mehr Informationen bekommt die Jury nicht – eingeschenkt werden die Öle in einem Nebenraum.

Wie probieren und bewerten wir die Olivenöle?

Den Becher in einer Hand drehen, um ihn etwas zu erwärmen und so dem Olivenöl mehr Aroma zu entlocken. Die Nase in den Becher halten, schnuppern. Dann das Olivenöl in den Mund nehmen, über die Zunge rollen lassen, es gewissermaßen kauen (mit Zischen und Schmatzen), dann entweder ausspucken (meine Mitstreiter) oder herunterschlucken (ich, weil ich dann den Geschmack besser beurteilen kann). Nummer 224 zum Beispiel – erster Check: Gibt es Fehltöne? Unangenehme Noten wie zum Beispiel ge­räucherter Speck (ranzig), Essig (weinig) oder etwas erdig-schmutzige, schlammige oder modrige Töne?

Dann hätten wir offizielle „Defekte“ aufgespürt und würden das Olivenöl sofort disqualifizieren. Bei diesem aber ist alles gut. Es duftet fein nach Gras, Kräutern wie Petersilie, Salbei, Thymian, nach Tomaten (grün oder eher reif? Reif!), etwas grüner Banane und schmeckt am Gaumen leicht bitter mit einem Chili-pikanten Nachhall. „Schön für Spaghetti mit Venusmuscheln“, überlegen wir als Küchentipp und geben diesem Olivenöl (Casas de Hualdo Reserva de familia) 3,5 von 5 möglichen FEINSCHMECKER-f.

Nach etwa 30 Olivenölproben fühlt sich die Zunge betäubt an

Ja, eine Ölverkostung ist anstrengend. Die frischen Olivenöle brennen im Rachen ähnlich wie Chilischoten; nach etwa 30 Proben fühlt sich die Zunge betäubt an, und wir besänftigen unsere Gaumen mit Mineralwasser, Apfelscheiben und etwas Weißbrot. Trotzdem, kein Grund zur Klage! Wir sitzen an den Tischen mit vier, acht, zwölf Plastikbechern vor uns, die hellgelb bis dunkelgrün schimmern, und berauschen uns an dieser einzigartigen Aromenfülle von frisch geschnittenem Gras bis zu Artischocken, Tomaten, Kiwi und Basilikumblättern – auch wenn, zugegeben, nicht jedes Öl ein Voll­treffer ist. Dennoch empfinden selbst so erfahrene Juroren wie Maximiliano Blanco aus Spanien oder Kostas Liris aus Griechenland unsere große Verkostung als Privileg. Wo sonst könnten sie, jedenfalls in Europa, so viele tolle Olivenöle in wenigen Tagen konzentriert probieren? „Eine wunderbare Erfahrung, immer wieder“, meint Blanco. 

Die Olivenölexperten an meinem Tisch, Matteo Bonoli aus Bologna und Francisca González aus Córdoba, verblüffen mich immer wieder. Sie können nicht nur jeden Fehlton im Öl sofort benennen und auf Ungeschick bei der Ernte oder in der Mühle zurückführen („die Oliven zu lange liegen gelassen“, „die Maschinen zu selten gereinigt“, „das Olivenöl beim Pressen zu warm werden lassen“), sie können die Proben auch ziemlich verlässlich einer Herkunft zuordnen – nur durch den Geschmack, versteht sich. „Nummer 224 ist wohl aus Spanien“, vermutet etwa Matteo Bonoli, einer der führenden Ölkenner der Welt: „Diese Noten schmecken nach der Sorte Picual, aber da ist auch Arbequina dabei. Ich schätze, das stammt aus der Mitte Spaniens.“ Stimmt genau, es kommt aus Toledo.

Diese Zuordnung nach Olivensorte und Region ist kein L’art-pour-l’art-Kunststückchen, sondern wichtig, um jedem einzelnen Olivenöl gerecht zu werden. Eines vom Gardasee wie etwa das Madonna delle Vittorie (Platz 24), gepresst aus den Olivensorten Casaliva und Frantoio, schmeckt eben sehr viel milder und weicher als ein recht ruppiges Öl aus Apulien von der Sorte Coratina wie das Maselli (Platz 26). Wenn man die beiden Olivenöle mit einem Wein vergleichen würde, wäre das erste vom Gardasee ein frisch- leichter Spätburgunder, das zweite aus Süd­italien ein kräftig-herber Chianti. Da wir nicht Äpfel mit Birnen vergleichen wollen, ordnen wir jede Probe einer Kategorie der Intensität zu, wie es bei allen internationalen Ölwettbewerben üblich ist: „leicht fruchtig“, „mittelfruchtig“ oder „intensiv fruchtig“. 

Diese Klassifizierung haben wir bei jedem Öl angegeben – das hilft Ihnen, liebe Leser, bei der ersten Orientierung zum Geschmack. Leicht fruchtige Olivenöle sind etwas schwächer im Bukett, am Gaumen mild und wenig bitter, intensiv fruchtige bieten das volle Füllhorn der Aromen von würzig bis duftig, schmecken aber eben auch deutlich bitter und scharf; beides sind Zeichen von Qualität.

Wie schmeckt ein qualitativ hochwertiges Olivenöl?

Was Geschmack und Qualität betrifft, ist der Einkauf noch immer Glückssache, es sei denn, man verlässt sich jedes Jahr auf denselben Produzenten und vertraut dessen Qualitätsmanagement. Aber auch dann können Güte und Charakter eines Olivenöls je nach Erntejahrgang schwanken. Die Wetterbedingungen in den Anbaugebieten werden offenbar immer unberechenbarer. Wer einmal etwas Abwechslung bei seinen Ölvorräten sucht oder zum ersten Mal statt Discounter-Standard ein richtig feines Qualitätsöl sucht, ist mit der nach wie vor lückenhaften Deklaration bei Olivenölen konfrontiert, die es den Konsumenten schwer macht, sich zurechtzufinden. 

Wichtig und hilfreich ist es, wenn auf der Flasche der Erntejahrgang angegeben ist. „Harvest year“, „Raccolto“, „Cosecha“, so lauten die Begriffe für den Erntezeitpunkt auf Englisch, Italienisch und Spanisch. Fehlt diese Angabe (wie meist), muss man sich mit dem Mindesthaltbarkeit­sdatum behelfen, das jetzt „best before 2020“ lauten sollte: Erlaubt sind 18 Monate ab Ernte. Darüber hinaus wäre es auch informativ, die Olivensorten auf das Etikett zu schreiben – hier gibt es erste zögerliche Schritte zu mehr Transparenz. Die Quinta San José etwa schreibt sie als „Variedad Picual“ gleich vorn auf die Flasche, dort, wo bei Conde de Mirasol „Hojiblanca“ steht. Wie die wichtigsten Sorten im Einzelnen schmecken, haben wir im Kasten auf der rechten Seite zusammengefasst.Gegebenenfalls wäre auch der Hinweis „early harvest“ interessant. So eine „frühe Ernte“ besagt nämlich, dass ein Öl aus meist noch grünen Oliven gepresst wurde, entsprechend intensiv blumig-fruchtig duftet, aber auch deutlich schärfer und bitterer schmeckt als eines aus weiter ausgereiften Früchten.

Woran erkennt man die Qualität von Olivenölen?

Die Qualität ist auf der Flasche nicht zu erkennen. Als „natives Olivenöl extra“ der „höchsten Güteklasse“ aus der „ersten Kaltpressung“ wird praktisch jedes Öl im Handel angepriesen, ob es nun 3,50 Euro pro halben Liter kostet oder das Zehnfache. Denn ein Öl aus der „heißen Zweitpressung“, was die logische Zweitkategorie wäre, gibt es nicht. Entsprechend irreführend ist der lautstarke Hinweis auf die erste Pressung. Unsere jährliche Veröffentlichung füllt als Wegweiser zur Qualität somit eine echte Lücke in Deutschland. Die einzige brauchbare Alternative ist der dicke Band „Flos Olei“, den der Italiener Marco Oreggia ebenfalls jedes Jahr herausbringt (zweisprachig Italienisch/Englisch, für 40 Euro erhältlich über www.flosolei.com).

Wie präsentiert sich der Olivenöl Jahrgang 2018/19?

Die Ernte aus dem vergangenen Jahr ist äußerst durchwachsen. Der Klimawandel scheint sich in Mittelmeerländern wie Italien und Griechenland verheerend auf Ölqualität und -menge auszuwirken. Die Olivenbauern auf dem Stiefel klagen über Ernteausfälle bis zu 60 Prozent, verschuldet von hartem Frost im Frühjahr, unberechenbaren Regenfällen, einem extrem trockenen Sommer und vor allem verheerenden Stürmen, bei denen die Olivenblüten geradezu von den Bäumen gerissen wurden. „Wir haben sehr viel weniger Öl abgefüllt“, erzählt Giorgio Franci, OLIO-Award-Gewinner aus der Toskana, „aber immerhin konnten wir die Qualität halten.“ Zu allem Übel grassiert vor allem in der olivenstarken Region Apulien das Baumsterben durch das Bakterium Xylella fastidiosa, gegen das es noch kein Heilmittel gibt. 

Unser geschätzter Kollege Andreas März, Chefredakteur der Zeitschrift „Merum“, sammelt für die Forschung gegen das apulische Baumsterben Geld, wir haben in unserer Juni-Ausgabe 2018 darüber berichtet. Wer helfen möchte: www.merum.info/xylella. Besonders hart trifft es auch die Ölproduzenten in Griechenland, die schon 2018 kaum mehr unter unseren Top 50 zu finden waren. Warme Winter und sehr feuchte Frühlingsmonate bieten beste Bedingungen für die Ausbreitung des schlimmsten Olivenschädlings, der Olivenfliege – sie sticht die Früchte an und legt darin ihre Eier ab. Wird dann nicht sehr früh geerntet, ist die Qualität dahin. Vor allem Bio-Olivenbauern sind der Fliege nahezu machtlos ausgeliefert, ganze Erntejahrgänge können von dem Insekt vernichtet werden. Nur die Spanier haben sich über die Wetterkrise gerettet. 

Anders als in den meist kleinen Terrassenhainen der Toskana kann man in Andalusien auf Tausenden von Hektar Land die besten Früchte für ein Top-Öl auswählen; Erzeuger wie Castillo de Canena (OLIO Award mittelfruchtig, 2. Platz) setzen außerdem auf moderne Technik für die Bewässerung und penibel regulierte Kühltransporte der Oliven. Der Lohn: Von neun OLIO Awards gehen in diesem Jahr sechs nach Spanien – so viele wie nie zuvor. ¡Felicitaciones!

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