Koch des Jahres - Felix Schneider
TIEF VERWURZELT
Handgemacht, hausgemacht, aus der Region – und das absolut konsequent. Felix Schneider treibt im „Sosein“ die Debatte um Nachhaltigkeit voran wie nur wenige andere
Text: Julius Schneider | Fotos: Vivi D'Angelo
NAME: Felix Schneider.
ALTER: 35 Jahre.
STATIONEN: „Aumer’s La Vie“ in Nürnberg.
HOBBYS: Rennrad fahren, den Gemüsegarten pflegen, im Wald sein und sich mit essbaren Pflanzen auseinandersetzen.
PRIVATLEBEN: Felix Schneider lebt mit seiner Freundin zusammen, einer studierten Biologin, die ihm auch mal bei kniffligen Fragen der Botanik weiterhelfen kann.
RESTAURANT: Das alte Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert war früher ein landwirtschaftliches Gehöft. Massive Deckenbalken im Innenraum zeugen von der Vergangenheit, die Einrichtung ist reduziert, aber gemütlich.
PLÄTZE: Zurzeit 20.
MITARBEITER: Drei in der Küche, zwei im Service.
INSPIRATION: Die Produkte an sich, Kunst und vor allem Gespräche mit den Menschen aus seinem Netzwerk regen ihn an. Aber auch die Natur selbst bringt ihn immer wieder auf neue Ideen.
Es gab einen Moment, da hatte ich ein Rinderfilet vor mir, das von einem Tier aus einer der größten Farmen der Welt kam, und ich fragte mich: warum?", erinnert sich Felix Schneider. Ein Gedanke, der ihn dazu brachte, Abläufe und Produkte infrage zu stellen und sich dem zu widmen, was aus der Region kommt: bestes Rindfleisch, Schweinefleisch in Topqualität und Gemüse in allen Variationen.
Konsequent verfolgt er seine Idee, durch Kochen Veränderung zu schaffen, und arbeitet dazu eng mit Bauern und Jägern zusammen. Gemüse baut er im eigenen Garten an und sammelt Zutaten in der Natur. So leistet er einen Beitrag zu einem ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln und zeigt, wie viel Genuss in Nachhaltigkeit steckt.
WAS MACHT DEN KOCH FELIX SCHNEIDER AUS?
Er wusste schon früh, dass er Koch werden will. Nach dem Abitur absolvierte er seine Lehre im „Aumer’s La Vie“ in Nürnberg, merkte aber schnell, dass ihn der klassische Küchenbetrieb zu sehr einengte. Gemeinsam mit Jens Brockerhof von der Cateringfirma „El Paradiso“ und der Designagentur „Toc.“ wurde 2015 das Konzept für das „Sosein“ entwickelt, um Schneider freie Hand zu geben. Seitdem wird an drei Tagen die Woche (zurzeit verkürzte Öffnungszeiten) das gekocht, was die Saison hergibt. Die restliche Woche ist nicht frei, im Gegenteil. Teige werden angesetzt, Gärten gepflegt, und in den riesigen Waldgebieten rund um Heroldsberg werden Zutaten gesammelt.
Steht ein Wildkräutersalat auf der Karte, dann, erklärt Schneider, „wird dieser nicht beim Großhändler bestellt, sondern von uns im Wald gesammelt.“ Um zu verdeutlichen, dass es kein gemütlicher Spaziergang ist, geht Schneider auf allen Vieren. „Man muss ganz dicht am Boden sein, um die Kräuter zu erkennen und schnell einsammeln zu können.“ Mit flinken Handbewegungen zupft er imaginäre Kräuter und lacht dabei. „Ein Kilo Wildkräuter – das kann dauern.“
WOZU DER AUFWAND? REICHT ES NICHT, GEMÜSE IM GARTEN ZU PFLEGEN?
„Allein der Geschmack von wilden Blaubeeren ist so viel besser als alles, was man kaufen kann. Für die allein würde sich der Aufwand schon lohnen“, sagt Schneider. Sein Anspruch ist es, das Wesen der Dinge auf den Teller zu bringen, worin auch die Schwierigkeit liegt – wie ein Zitat von Heraklit an der Wand im Restaurant verdeutlicht: „Das Wesen der Dinge hat die Angewohnheit, sich zu verbergen“. Fast könnte man meinen, der philosophische Ansatz mache die Küche Schneiders kompliziert. Schon der erste Gang des sommerlichen Menüs „Alle Farben“ beweist aber das Gegenteil. Gegrillter Blumenkohl, gebrannte Sahne und Bottarga vom Störkaviar sind vollmundig und cremig, der Blumenkohl hat Biss. In einer separaten Schale werden hocharomatische Tomaten, natürlich aus dem eigenen Garten, mit einer Vinaigrette aus kalt eingelegten Tomaten und Erbsenmiso serviert – das ist frisch und voller Geschmack. So einfach!
HAUSGEMACHT, SELBST GEMACHT – WELCHE ROLLE SPIELT DIE HANDARBEIT?
Die Misopaste zeigt, was Schneiders Küche ausmacht: Experimentierfreude und hausgemachte Produkte. Essige, Schinken und Butter werden selbst gemacht. Das Brot natürlich auch: Ein paar Stunden zuvor gebacken, kommt es als eigener Gang auf den Tisch. Dazu die Butter, sechs Monate in Shio Koji – einer Salzmarinade mit Koji-Pilz– gereift, vom regionalen Mangalitza-Schwein zart schmelzender Lardo, milder Coppa und 18 Monate alter Knochenschinken, dazu Rinderschinken und pochierter Wildschweinbauch. Alles perfekt gereift. Vier Schweine und ein Rind werden pro Jahr komplett verarbeitet.
Purer Geschmack und voller Fokus auf das Produkt zeigen sich auch beim Sashimi vom Saibling. Der wurde lebend geliefert und nach der Ike-Jime-Methode getötet. Zart die Bauchstücke, dazu wird die Leber serviert, kurz angebraten und cremig wie Foie gras.
Danach isst man sich durch Schneiders Garten und beginnt mit dem Salat. Das Gericht besteht aus einem halben Salatkopf, den man in hausgemachten Himbeermostessig mit Schnittlauchöl dippt und abbeißt. Der Strunk ist gebraten und in altem Schlehenbalsam mariniert, der Saft der Blätter ist Teil einer Vinaigrette, die mit Chinesischer Keule serviert wird, einer längst vergessenen Gemüsesorte. Man wusste zwar, dass Salat mehr ist als seine Blätter, aber Schneider zeigt, dass jedes Teil voller Geschmack ist.
Der nächste Gang führt ins Beet mit Wurzelgemüse. Pikierte Karotten, also diejenigen, die geerntet werden, um Platz für die anderen zu machen, werden mit einer Reduktion von Karottensaft, milchsauer vergorenem Karottensaft und Karottensamenöl serviert. Das Gemüse wird mit sich selbst gewürzt. Man zieht die kleinen Möhren am Grün durch die kraftvolle Sauce, beißt ab und fragt nach einem Löffel. Kein Tropfen soll zurückbleiben. Dazu gibt es Gelbe und Rote Bete, im eigenen Saft gegart, Stiel und Blatt werden dazu serviert. Darauf eine Marmelade aus Süß- und Sauerkirschessig.
- Rücken der Seeforelle in Spirulina-Algen-Miso mariniert und flambiert, Senfkohlsalat, Meerrettich
- Hommage an die Bete – Beten, auf Salz gegart, Millefeuilles aus ihren Blättern und Ständeln
- Heu & Hahn – Hahn, mit Heu gegart, in Kirschjus glasierte Kirsche mit Kürbiskernmarzipan
WIE ARBEITET DAS TEAM IM „SOSEIN“ ZUSAMMEN?
Das Essen macht Freude, weil man jeden Gang sofort versteht und schmeckt, dass die Küche Spaß an ihrer Arbeit hat. Gemeinsam mit Thomas Prosiegel und Stefan Frank steht Schneider in der Küche. Die drei kennen sich schon lange, jeder weiß, was zu tun ist, und wenn gespült werden muss, ist sich keiner dafür zu schade. Hier herrschen moderne Hierarchien – also keine.
Seit fünf Jahren gibt es das „Sosein“. Für die Zukunft hat Schneider schon neue Pläne. „Wir bearbeiten gerade einen weiteren Garten mit noch mehr Fläche zum Experimentieren.“ Und aus seinen Augen blitzt die pure Freude.
Konsequent, nachhaltig, mit Pioniergeist und teils klassischem Wohlgeschmack definieren Felix Schneider und sein treues Team im modern-urigen Fachwerkhaus den Regionaltrend neu. Sie produzieren eigenes Signalkrebs-Garum (Würzsauce), fermentieren, sulzen und intensivieren Geschmack mit dem Schimmelpilz Koji. Ungewöhnlich und süffig ein Emu-Ei mit Spinat; zart, intensiv als Sashimi sanft Ikejime-geschlachtete, 16 Tage trocken gereifte fränkische Lachsforelle. Sauerteig-Fladenbrot mit Ochsenfett und fermentiertem Rahm spielte auf Döner an – freudvoll wie das spektakuläre Hausbrot-Brechen. Nach dem Erwerb einer Gänseherde pökelte und räucherte man das Fleisch zum Haltbarmachen im Sinne von nose to tail, servierte aus der Brust köstliches Gänsekasseler, milchsauervergorener Navettensaft spielte auf Sauerkraut an, frittierte Kümmelkörner wie die fränkische Schlachtschüssel zu Beginn auf avancierte Deftigkeit. Erfrischende Desserts mit Kräutern und Gemüse erfordern ein Einlassen, wie die Getränkebegleitung von Sommelière Monique Steinke aus charakterstarken Biodyn- und Naturweinen, Bier, Cidre.
PERSÖNLICHE TIPPS VON FELIX SCHNEIDER:
ESSIGBRÄTLEIN
St. Sebald, Weinmarkt 3, 90403 Nürnberg, Tel. 0911- 22 51 31, www.essigbraetlein.de, So, Mo geschl., Menü € 132-160
„Für mich machen die eine der spannendsten Gemüseküchen in Europa.“
KUHLEMANN
Freyung 31, 92660 Neustadt an der Waldnaab Tel. 09602-94 18 72, www.restaurant-kuhlemann.de, nur Abendessen, So, Mo, Di geschl., Menüs €60-70
„Adrian Kuhlemann revolutioniert mit großem Innovationsgeist die Wirtshauskultur auf dem Land.“
MRS. ROBINSON’S
Prenzlauer Berg, Pappelallee 29, 10437 Berlin, Tel. 030-54 62 28 39, www.mrsrobinsons.de, nur Abendessen, Mo, Di geschl., Menüs € 50-75
„Das ist für mich der Inbegriff von spannender, aber unkomplizierter Küche, die sehr produktorientiert arbeitet.“