Szabina Szulló und Tamás Széll – Botschafter aus Budapest

Der Duft von Paprika steigt auf dem Weg zum Restaurant „Stand“ in die Nase. In der Altstadt von Budapest ist die Dichte an Bars und Bistros, die Gulasch anbieten, hoch. Das Viertel erinnert mit seinem leicht chaotischen Flair an das alte, noch nicht herausgeputzte Berlin-Mitte. Auch hier gibt es mittendrin eine jüdische Synagoge und Pubs mit Namen wie „Mazel Tov“. Spätestens, wenn man die Gozsdu Udvar, eine Fressmeile mit kreativem Streetfood passiert, fragt man sich, ob hier in der Nähe tatsächlich die wohl besten Köche Ungarns zum Fine Dining laden. Doch wenig später hat man es gefunden, das „Stand“ von Szabina Szulló und Tamás Széll. Es liegt versteckt in einer winzigen Seitenstraße, hinter einer modernen Steinfassade mit bodentiefen Fenstern, die von Vorhängen verschlossen sind. Vor der Tür steht ein Baum – der einzige weit und breit. Der Name des Restaurants hat seinen Ursprung in einem Bistro mit der Nummer 25 auf dem Hold-Straßenmarkt, das die beiden 2017 als „Stand25“ aufmachten – ihr Schritt in die Selbstständigkeit. Ein Jahr später eröffneten sie dann auf der anderen Seite der Donau das „Stand“. „Es lag nahe, dass wir den Namen nur abwandeln“, erzählt Tamás Széll, „denn in beiden Restaurants geht es um unsere Wurzeln.“ Im Bistro läuft es leger ab, im Fine-DiningRestaurant blickt man seit 2022 stolz auf die Emaille-Plakette mit zwei MichelinSternen. In Budapest ist das „Stand“ das einzige Restaurant mit dieser Auszeichnung. Nur ein weiteres gibt es noch in Ungarn, in Tata im Nordwesten.

Wie lautet das Konzept?
„Das ist eigentlich ganz simpel: Wir wollen ein zeitgenössisches ungarisches Restaurant sein“, sagt Tamás Széll. „Keep it simple, make it special“, lautet die Herangehensweise für jedes der Gerichte des achtgängigen Degustationsmenüs. Wie hier aus Einfachem etwas sehr Besonderes wird, zeigt sich gleich zu Beginn: Lángos, frittiertes Fladenbrot mit Käse – ein allgegenwärtiger Snack –, thront im „Stand“ als Solitär wie ein Mini-Muffin auf dem Teller – und schmeckt mit Sauerrahm und einer Comté-Haube himmlisch fein. Szulló und Széll haben eine ungarische Spezialität dekonstruiert, um sie neu zu erfinden. Auch das Gemüse-Schmorgericht Lecsó, ähnlich der französischen Ratatouille, erfährt hier ein Upgrade, optisch wie aromatisch: Am Tisch gießt Sini vom Service über die Schüssel mit den Gemüsewürfeln ein Tomatenwasser aus einer mit Rauch und einem Kräuterstrauß gefüllten Glaskaraffe an.

Wer genießt im Restaurant?
Ein Viertel der Besucher kommen aus Ungarn, sie schätzen die einzigartige Kreativität. Gäste aus dem Ausland haben im „Stand“ die Möglichkeit, die ungarische Haute Cuisine at its best zu erleben. Durch eine lange Glaswand blicken sie in die offene Küche, sehen, wie Meerrettich geraspelt wird oder Szabina Szulló mit der Pinzette winzige Blumen auf Tellern platziert. „Es ist uns wichtig, dass auch wir Köche die Reaktionen der Gäste unmittelbar erleben“, erzählt sie, die am liebsten in der Küche an Details feilt und Tamás Széll (den sie ihren Mann nennt, auch wenn sie nicht verheiratet sind) das Rampenlicht überlässt.

Zusammen leben und arbeiten. Wie klappt das?
„Als wir nur ein Restaurant hatten, gab es Vor- und Nachteile, auch wenn die Vorteile überwogen“, sagt die 48-Jährige. Ihr Partner ergänzt in wenigen Worten, worin die Herausforderung lag: „Wir sind beide starke Charaktere.“ Mit nun zwei Küchen und Karten ist alles einfacher: Szabina ist die Chefin im „Stand“, Tamás hat im „Stand25“ das Sagen. Außerdem übernimmt er die öffentlichen Auftritte und verbreitete zuletzt in TV-Kochshows die Botschaft von der modernen ungarischen Küche. Auch über seine Heimat hinaus ist er Sprachrohr. Etwa, indem er das KöcheTeam coacht, das beim Bocuse d’Or für sein Land antritt – jenem renommierten Wettbewerb, bei dem er selbst 2016 als erster Ungar Europameister wurde.
Wer entwickelt die Rezepte im „Stand“? Trotz der getrennten Aufgabengebiete kreieren sie jedes der Gerichte „zu 100 Prozent“ gemeinsam. „Es beginnt meist mit einer saisonalen Zutat und einer Kindheitserinnerung, zum Beispiel dem Geschmack einer Tomate aus dem Garten“, erzählt Szabina, und Tamás ergänzt: „Es funktioniert bei uns fast wie Telepathie: Einer macht, was der andere schon gedacht hat. Wir ergänzen da einander.“

Wie geht Gulasch 2.0?
Die Gulyás Soup ist ein Signature-Gericht des Menüs: nach langem Schmoren reich an Struktur und Umami – allein das Zwiebelconfit benötigt drei Stunden. Als Fleisch dient edles Wagyu, und erst am Ende kommt Paprika hinzu, damit das Gericht nicht bitter wird. Das Topping aus handgezupfter Pasta in Reiskorngröße, Sellerie und Salzzitrone lässt frische Assoziationen in Richtung Italien aufleben. Die Sauce am Boden der Schüssel darf mit dem Kohlsauerteigbrot aufgetunkt werden, das täglich nach alter Landestradition gebacken wird. Die Erlebnisse bei jedem Gang werden durch hübsche Details verstärkt: Zum Rehfilet – zart, klein und edel – wird ein handgeschmiedetes Jägermesser eingedeckt, dessen Klinge in einer Filzlasche steckt. „Kleines Fleisch, großes Messer, das ist Fine Dining“, scherzt Sini. Zu jedem Gang erzählt sie, woher die Produkte stammen: Biokartoffeln und Gemüse aus dem lokalen Produzenten-Netzwerk, der Stör des Hauptgangs schwamm vormals in süßen Gewässern im Norden des Landes, das Wild liefert ein befreundeter Jäger.
Was wird eingeschenkt?
Keine Überraschung: Ein Großteil der exzellenten Weine kommt aus Ungarn. Der rote 2019er Görögszó Bikavér aus dem Süden zum Beispiel ist eine tiefgründige Cuvée mit Blaufränkisch, und die berühmten ungarischen Tokajer begleiten mit ihrer Süße perfekt das aus Biskuit und Schokolade bestehende Somlói-Dessert und die Petits Fours. Ganz zum Schluss hat Tamás noch einen Gag parat: Per Knopfdruck kann er die Glasscheibe zur Küche auf blind schalten. Beim Aufräumen, sagt er verschmitzt, müsse niemand zusehen.
Szabina Szulló und Tamás Széll überführen im Restaurant „Stand“ in Ungarns Hauptstadt Klassiker der Heimatküche in die Avantgarde. Ob bei Gulasch oder Lángos: Die Tricks ihrer Großmütter sind Teil des Erfolgs. Wir wollen ein zeitgenössisches ungarisches Restaurant sein“, sagt Tamás Széll. „Keep it simple, make it special“, lautet die Herangehensweise für jedes der Gerichte des achtgängigen Degustationsmenüs. Wie hier aus Einfachem etwas sehr Besonderes wird, zeigt sich gleich zu Beginn: Lángos, frittiertes Fladenbrot mit Käse – ein allgegenwärtiger Snack –, thront im „Stand“ als Solitär wie ein Mini-Muffin auf dem Teller – und schmeckt mit Sauerrahm und einer Comté-Haube himmlisch fein. Szulló und Széll haben eine ungarische Spezialität dekonstruiert, um sie neu zu erfinden. Auch das Gemüse-Schmorgericht Lecsó, ähnlich der französischen Ratatouille, erfährt hier ein Upgrade, optisch wie aromatisch: Am Tisch gießt Sini vom Service über die Schüssel mit den Gemüsewürfeln ein Tomatenwasser aus einer mit Rauch und einem Kräuterstrauß gefüllten Glaskaraffe an. Ungarische Künstler und Designer haben ein modernes Ambiente kreiert mit viel Glas, Wandobjekten, gemütlichen Polstersesseln und -bänken. Es gibt eine offene Küche und Platz für 35 Gäste.