Koch des Monats: Fabien Ferré

Fabien Ferré ist groß und kantig und bewegt sich so kraftvoll durch seine Küche, dass man fürchtet, er könnte jede Menge Porzellan zerschlagen. Das tut er gottlob nicht, aber er war nun mal Sportler, damals im Burgund, und die Muskeln hat er sich genauso bewahrt wie seinen Drang nach vorn – der ist beim Rugby naturgemäß sehr ausgeprägt. Ganz nach vorn wollte er immer – und ist selbst überrascht, dass es so schnell ging. Sein Restaurant „La Table du Castellet“ im Hôtel Du Castellet ist mit drei Michelin-Sternen eines der höchstbewerteten in Frankreich. Es liegt im südlichen Zipfel der Provence, die Mittelmeerküste in Saint-Cyr-Sur-Mer erreicht man in zwanzig Autominuten gen Süden.

Bei Ferré geht es ruhig zu, der Chef gibt Anweisungen und Bestellungen in die Runde. Das Team ist sehr jung, sehr schnell, sehr behänd – flink wie Ameisen arbeiten alle Posten zusammen, wohlwissend, dass draußen der Saal voll ist – der Erfolg hat sich herumgesprochen. Das elegant-luxuriöse Hôtel du Castellet liegt an der alten Formel-1-Rennstrecke in den Bergen über Bandol, hier locken ein herrlicher Golfplatz und tolle Wanderwege – das Publikum ist gemischt: Rennfans, Sportler, Golfer, Strandromantiker. Fabien Ferré ist besonders stolz, dass auch viele Einheimische kommen. „Die Provenzalen haben gemerkt, dass ich ihre Produkte auf ein Podest hebe – und zwar sanft und vorsichtig“, sagt der Chefkoch
Warum zog es Ferré überhaupt in den Süden?
Die Mittelmeerküche wollte Ferré schon unbedingt kennenlernen, als er noch ein Kind war, daheim im Burgund, wo die Gerichte deftig sind und das Meer weit weg. Seine Großmutter war eine grandiose Köchin, sagt er. Sie schuf die Grundlagen für Ferrés Geschmacksbildung.

Nach Handwerksjahren bei Familie Troisgros in Roanne (Loire) war ihm klar: Ich möchte meine Fische endlich nicht mehr auf dem Großmarkt bestellen, sondern direkt bei den Fischern abholen. Also ging er als Souschef zu seinem Mentor, dem Küchenchef Christophe Bacquié, nach Le Castellet und fand dort die Qualitäten, nach denen es ihn so sehr verlangte. Von Donnerstag bis Samstag geht er persönlich auf den Markt von Sanary-surMer und sucht sich dort bei den Fischern seines Vertrauens die Meeresschätze aus, meistens direkt auf ihren Booten. Ist der Tintenfisch an einem Tag nicht gut, nimmt er die Krabben. Sind die Rotbarben zu klein, wählt er die Meeräsche aus. Es ist das Paradies für einen wie ihn, der mit seiner Küche so nah an den Produkten bleibt. Das gilt auch für die Gemüse und Kräuter: „Als ich hier ankam und sah, was kleine Bauern bei Tomaten, Artischocken und Morcheln für eine Qualität anbieten, konnte ich es kaum fassen. Und dann all die Kräuter, die sich ringsum auf den Felsen nah am Meer sogar wild pflücken lassen, Majoran, Verveine – das ist phänomenal.“
Also kommt vor allem Fisch auf den Tisch?
So ist es – die Menüfolge ist wie eine Enzyklopädie der Meere, darauf legt Ferré den Fokus. Der jeweilige Fisch steht absolut im Vordergrund. Der Mann aus dem Burgund versteht es, die Unterschiede herauszuarbeiten und beinahe blind schmeckbar zu machen. „Ich versuche, alles ganz einfach zu präsentieren. Ich will keine Spielchen, ich möchte nicht, dass der Gast nachfragen muss, weil er den Teller nicht versteht und Dutzende Aromen sich überlagern. Meine Küche muss lesbar sein.“

Wie schmeckt das Menü?
Wunderbar intensiv und saftig. Ein Beispiel ist der Tintenfisch, der nur leicht angegrillt wird und zart bleibt, purer Geschmack. Ferré liebt Bitternoten und Säuren, für den Hühnerfond unterm Tintenfisch kocht er die Gräten von Doraden mit, eine Meereswucht, das Öl seines Lieblingskrauts Majoran bringt Erdigkeit und Tiefe. Grandios gelingt auch der Rochen, der woanders so oft trocken und faserig schmeckt. Hier wird er auf dem japanischen Holzkohlegrill zu den Gästen getragen, die Röstnoten lassen ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Der Fisch schmeckt zart und kraftvoll zugleich, ihn ergänzen nur etwas Bärlauch und ein Kalamansi-Gel – c’est parfait. „Der Fisch ist hier so gut, dass es eine Schande wäre, ihn mit Kaviar und Trüffel vollzukleistern. Ich will es direkt und klar, ohne wilde Kapriolen.“ So spricht jemand, der seinen Produzenten vollkommen vertraut.
Wie sitzt man im Restaurant?
Der Saal wirkt luxuriös und elegant, die runden weißen Tische stehen in weitem Abstand, bei all der Modernität kommt nicht unbedingt große Romantik auf. Dafür strahlen die Teller des Chefs umso mehr. Wer kann, kommt im Sommer, dann hat man das seltene Vergnügen, die erlesene Haute Cuisine unter freiem Himmel zu genießen. Der Blick von der Terrasse auf den Golfplatz ist wahrhaft phänomenal.

Was hat es mit dem Käsekeller auf sich?
Das ist Ferrés Idee, die Gäste ein bisschen in Bewegung zu bringen. Sie gehen zum Käse, nicht umgekehrt! Nach vier oder sechs Gängen dürfen sich die Genießer die Beine vertreten und sich zum gläsernen Käsekeller aufmachen. Dort dringt ihnen sofort das Aroma all der alten Raritäten in die Nase, und Restaurantleiter Pierre Méchain erklärt die einzelnen Sorten, dann wird ausgewählt. Die Weinkarte, kuratiert vom fantastischen Sommelier Jonathan Pral, besteht aus fünf Büchern, nach Regionen geordnet. Die Margen sind fair kalkuliert, das ist selten auf diesem Niveau und in der teuren Provence.

Überhaupt geht es in Ferrés Restaurant entspannt zu, auf allzu viel Förmlichkeit verzichtet der junge Chef, weil auch er weiß: In Zeiten der Krise ist das Personal das A und O. „Ich habe nur an vier Tagen geöffnet, damit meine Leute mehr Freizeit haben. Wenn ein Kellner Sneaker tragen will, dann soll er. Ich möchte, dass mein Team gute Laune hat und entspannt ist. Dann sind sie am glücklichsten und können das auch an die Gäste weitergeben.“ Immer wieder winkt Ferré einen seiner jungen Köche und Servicekräfte zu sich heran, erklärt ihnen Dinge, man scherzt, umarmt sich auch mal. Das ist Teamwork wie in einem erfolgreichen Rugbyteam. Scheint, als wäre Ferré doch in einer Trainerrolle angekommen – ganz weit oben in der Haute Cuisine.