FEINSCHMECKER-Interview mit Hubertus Meyer-Burckhardt
Im Fernsehen ist Hubertus Meyer-Burckhardt als Talkshow-Moderator, Produzent und Autor eine feste Größe. Hier wechselt er einmal die Rolle, steht selbst Rede und Antwort – und verrät im FEINSCHMECKER Interview, warum er Italien liebt, worum er Katholiken beneidet und was einen guten Gastgeber auszeichnet
Text Gabriele Heins

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Götz Wrage
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Aufgewachsen in Kassel, studierte er Philosophie und Geschichte in
Hamburg und Berlin und war auf der Hochschule für Fernsehen und
Film in München. Er ist Film- und Fernsehproduzent, Schriftsteller, Dozent, Werbe- und Medienmanager sowie (zusammen mit Barbara Schöneberger) Gastgeber der „NDR Talk Show“.
Der Steckbrief zu Hubertus Meyer-Burckhardt.
Herr Meyer-Burckhardt, Sie haben sich das Hamburger Restaurant „Gallo Nero“ als Ort für unser Interview gewünscht. Warum?
Italienische Restaurants sind für mich Orte der Glückseligkeit. Je grauer der Himmel ist, desto mehr brauche ich südliches Flair um mich. Ob Pizzeria oder Ristorante – italienische Lokale sind für mich Inseln der Vitalität und der Wärme. Dort essen zu gehen ist wie ein kleiner Urlaub von uns selbst, von unserem deutschen Pflichtkanon.
Anders als französische Restaurants?
Ja, denn die italienische Küche ist klassenlos. Schon als Student habe ich in einfachen Trattorien gut gegessen und Weine zu vernünftigen Preisen getrunken. In französische Restaurants muss man schon ein wenig mehr Geld mitbringen.
Was macht ein gutes italienisches Restaurant aus?
Es muss vor allem von Italienern geführt sein. Ich habe einfach gern Italiener um mich, denn sie haben vieles, was wir Deutschen nicht haben. Und daher rührt wahrscheinlich unsere lange Liebesbeziehung zu dem Land. Italien ist ein Land, das wir seit Goethe mit der Seele suchen.
Was haben Italiener uns denn voraus?
Einfach mal fünfe gerade sein lassen, die Leichtigkeit des Seins, sich dem Leben anzuvertrauen, was mir als Kind einer protestantischen Mutter lange schwerfiel. In Italien ist der Moment das Wichtigste, Das können wir uns abgucken.
Was sind Ihre Lieblingsgerichte?
Ich mag wahnsinnig gern Zitronenhuhn, Wild, gegrillten Fisch, Pasta, Sushi. Ich esse aber kaum mehr rotes Fleisch. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, ich fahre auf der Autobahn an so vielen Tiertransporten vorbei, da kann man sich nicht über den Umgang mit der Kreatur beklagen und gedankenlos Wurst essen. Ich möchte meinen kleinen Teil dazu beitragen, dass die Situation besser wird.
Viele Jugendliche ernähren sich ja besonders bewusst ...
Stimmt, bei den Großstadtkids ist vegetarisch auf dem Vormarsch, hinter der Stadtgrenze hört das aber schnell auf. Die Generation meiner Kinder ist auch in Sachen Alkohol vernünftiger als ich. Aber ich schaue auch zunehmend auf Packungsangaben und kaufe fast nur Bio. Ich möchte Landwirte und Winzer unterstützen, die einen anderen Ansatz haben.
Kochen Sie auch?
Nein, ich kann gar nicht kochen. Aber ich bin begabt darin, bekocht zu werden, ich bin sehr dankbar, mache den Abwasch, räume die Küche auf und unterhalte die Köche mit lustigen Anekdoten.
Bei der „NDR Talk Show“ sind Sie ein versierter Moderator. Was macht einen guten Gastgeber aus? Sich selbst nicht in den Vordergrund zu stellen und eine Lagerfeuer-Atmosphäre zu schaffen. Auch guter Smalltalk will gekonnt sein. Die Deutschen neigen dazu, sich eher an Sachthemen zu klammern, oft ist die Funktion wichtiger als die Person – da können wir uns viel von den Engländern abschauen. Ein guter Gastgeber muss für einen Groove sorgen. Humor ist wichtig, und nichts ist so schlimm wie ein angespannter Gastgeber, der überfordert wirkt. Ich möchte bei Freunden auch keine Gourmetreise machen, sondern freue mich, wenn jemand kocht, was er am besten kann. Ich bin auch mit einem Spiegelei zufrieden.
In Talkshows wurde früher viel getrunken und geraucht. Heute geht es da gesitteter zu … Getrunken wird bei uns auch. Vor der Sendung etwa gibt es für alle Gäste ein Glas Champagner, das löst die Zunge, und während der Sendung wird Wein ausgeschenkt. Wir hatten mal einen norwegischen Autor zu Gast, der fassungslos war – im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Norwegen wäre Alkoholgenuss undenkbar.
Sie gehen sehr offen mit Ihrer Diagnose um – zwei Karzinome wurden bei Ihnen entdeckt –, das ist auch Thema in Ihrem aktuellen Buch. Und seitdem leben Sie „unvernünftiger“, sagen Sie.
Zunächst: Die Sache ist komplett im Griff. Aber ich plane nicht mehr so viel und halte es mehr mit Rainer Maria Rilke: „Du musst das Leben nicht verstehen, dann kann es werden wie ein Fest.“ Ich bin als protestantischer Pflichtesel aufgewachsen und werde nie die Leichtigkeit eines Brasilianers haben, aber mein Leben hat sich entspannt und entpflichtet. Mit so einer Diagnose denkt man an guten Tagen mehr an das Leben, an nicht so guten aber auch an den Tod. Man lebt nicht zwingend ein anderes Leben, aber man bekommt einen anderen Blick darauf – als hätte man jahrelang auf ein Bild geschaut und sähe es plötzlich doch mit anderen Augen.
Schon vor Jahren haben Sie dem Magazin „Cicero“ gesagt, wie Sie sich Ihre Abschiedsfeier vorstellen: im Wald mit einer großen Tafel …
Ja, meine Lieblingslandschaftsformen sind Wald und Berge, nicht Wüste oder Meer. Ich sehe meine Lieben und Weggefährten an einer Tafel mit Schinken, Käse, Brot, viel Wein eine Flasche nach der anderen öffnen und Rod Stewart hören. Eine ausgelassene Party soll es schon sein.
Welchen Wein trinken Sie am liebsten?
Ich liebe italienische Rotweine. Ich bin jedoch nicht der Weinkenner, der sieben Flaschen parallel öffnet und ständig seine Zunge schult. Weinproben lehne ich ab, ich bin ein Genusstrinker. Grundsätzlich mag ich es nicht so gern, wenn Essen und Wein akademisch betrachtet werden und man sich etwa über die Grapefruitnote im Abgang unterhält. Oft sind das vor allem Männer mit halber Brille und Cordweste, die einem ausführlich erzählen, dass die Thymiannote beim Huhn im Vergleich zum Liebstöckel zu dominant ist. Und die einem beweisen wollen, dass man Schnittlauch falsch schneidet. Wenn Kochen sich mit Humorlosigkeit paart, wird es für mich freudlos.
Männer haben in den vergangenen Jahren ohnehin die Küche für sich als Entfaltungsraum entdeckt.
Ja, Männer nehmen zunehmend Eigenschaften an, die man dem Weiblichen zuordnet. Frauen erobern sich Eigenschaften, die man mehr dem Männlichen zuschreibt. Das ist eine gute Entwicklung. Ich finde, es sollten mehr weibliche Eigenschaften und mehr soziale Kompetenz in Wirtschaft und Politik einziehen, dann sähe es in der Welt besser aus.
Sie sind ja bei Ihrer Mutter und Großmutter in Kassel aufgewachsen. Haben Sie aus der Kindheit kulinarische Erinnerungen bewahrt?
Wenig, denn sie kamen aus Sachsen-Anhalt und Berlin, aus Gegenden also, die nicht für filigrane Küche bekannt sind. Ich erinnere mich an sehr gute Rinderbrühe mit Nudeln, Kartoffelpuffer oder Berliner Leber. Aber es war wenig Geld zu Hause, und ich kann mich nicht erinnern, dass sich meine Mutter je zur Qualität von Fleisch oder gar eines Metzgers geäußert hätte. Später ging sie mit ihrem Freund manchmal essen und kam sehr heiter zurück, aber das lag sicher nicht nur am Essen.
Sind Sie mit ihr auch ins Restaurant gegangen?
Mit meiner Großmutter war ich ab und zu in einem Restaurant, da standen die teuersten Gerichte ganz oben auf der Speisenkarte, die günstigsten ganz unten. Als Jugendlicher war es mein burning desire, mal von ganz oben wählen zu dürfen. 100 Euro im Restaurant auszugeben, das galt damals als obszön.
Ob beim Öl oder Salz, heute herrscht hingegen überall kulinarische Verfeinerung.
Es ist doch eine tolle Entwicklung, dass die Menschen sich darüber Gedanken machen, was sie aufnehmen. Gutes Essen muss auch nicht teuer sein, McDonald’s oder Starbucks sind hingegen teuer! Aber es ist in Deutschland immer noch so: Wenn jemand viel Geld für sein Auto ausgibt, hält man ihn für einen sympathischen Autonarren, gibt jemand Geld für gutes Essen aus, gilt das als frivol und übertrieben. Da leben die Katholiken schon besser, sie sind auch, wie Barbara Schöneberger etwa, bessere Entertainer. Das protestantische Paradies möchte ich mir nicht vorstellen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie ein erotisches Verhältnis zum Alleinsein haben – auch beim Essen?
Ja, ich gehe sehr gern allein essen, setze mich mit der „FAZ“ oder „SZ“ in eine Ecke und genieße es, für mich zu sein und zwei Glas Wein zu viel zu trinken. Das ist meine Zeit, ein Mini-Urlaub, und das „Gallo Nero“ ist ein Stück Heimat.
Was ist ansonsten für Sie Heimat?
Wo ich einen guten Italiener, einen guten Buchladen und einen Flughafen in der Nähe habe, kann ich Wurzeln schlagen. Ich habe in vier Städten gelebt – Düsseldorf, Berlin, Hamburg, München. Das ist, als hätte man vier Freunde, die man aber nicht zusammen einladen kann.
In Ihrem Buch thematisieren Sie die Zeit. Warum treibt Sie das Thema um?
Der Titel „Diese ganze Scheiße mit der Zeit“ ist ein brachialer Stoßseufzer. Denn vom ersten Schrei in der Wiege an stecken wir im Zeitkorsett – und damit ist auch das Ende permanent in uns. Die Zeit ist unser Gegner, alle klagen, dass sie nie Zeit haben. Dennoch mache ich immer noch gerne viel und möchte keinesfalls die Zeit im Süden mit der Frage verbringen: Soll der Kamin umgebaut werden oder nicht? Ich habe gern viel zu tun und empfinde das als Geschenk. Die Stones sind auch noch unterwegs, es gibt coole Alte und langweilige Junge. Das unterscheidet uns von den 1970ern – damals waren alle Alten langweilig.
Ist dies auch Ihr persönlichstes Buch?
Wenn man ein Buch schreibt, reist man wie ein Völkerkundler in ein fernes Land und weiß nicht, wo man landet. Nur: In diesem Falle war das ferne Land ich selbst.

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Götz Wrage
Aufgewachsen in Kassel, studierte er Philosophie und Geschichte in
Hamburg und Berlin und war auf der Hochschule für Fernsehen und
Film in München. Er ist Film- und Fernsehproduzent, Schriftsteller, Dozent, Werbe- und Medienmanager sowie (zusammen mit Barbara Schöneberger) Gastgeber der „NDR Talk Show“.
NAME: Hubertus Meyer-Burckhardt.
ALTER: 63 Jahre.
STATIONEN: Aufgewachsen in Kassel, studierte er Philosophie und Geschichte in Hamburg und Berlin und war auf der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Er ist Film- und Fernsehproduzent, Schriftsteller, Dozent, Werbe- und Medienmanager sowie (zusammen mit Barbara Schöneberger) Gastgeber der „NDR Talk Show“. Mit seiner Frau, der Journalistin und Autorin Dorothee Röhrig, lebt der Vater von zwei Kindern in Hamburg.
Das Buch

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Götz Wrage
Aktuelles Buch von Hubertus Meyer-Burckhardt "Die ganze Scheiße mit der Zeit".
„Diese ganze Scheiße mit der Zeit“ ist das aktuelle Buch von Hubertus Meyer-Burckhardt. Darin reflektiert er sein Leben – mit besonderem Blick auf die Zeit, die unser Leben bestimmt, im Guten wie im Schlechten. GU, 192 S., € 19,99