Früher Model, heute Gärtnerin: Gemüsegärten für Monaco

Gemüsegärten über Monacos Dächern

Sie kam als Model, aber ganz nach oben ging es als Gärtnerin. Jessica Sbaraglia erschafft auf Hochhäusern des Fürstentums Gemüse-Paradiese. Fürst Albert und Spitzenköche sind begeistert.
Datum11.07.2025

125 Stufen führen hinauf ins Paradies. Es ist grün und irgendwie auch bunt. Es liegt zwischen steil in den Himmel ragenden Hochhäusern und gehört zum Tour Odéon – mit 170 Metern das höchste Gebäude Monacos. Jessica Sbaraglia führt den Gast in ihr Reich, das sie mit Hühnern aus zwölf verschiedenen Rassen, mehreren Bienenvölkern und unzähligen Gemüsesorten und Kräuterarten teilt. „Schauen Sie mal, der Warzenkürbis. Der trägt doch seinen Namen völlig zu Recht, oder?“, fragt sie und hält die kleine, blassgelbe Frucht mit den knotigen Flecken hoch. Dann pflückt sie eine zierliche rote Blüte von einem voluminösen Strauch und lächelt einem aufmunternd zu: „Probieren Sie!“ Beim Kauen passiert eine ganze Menge im Mund: Die Blüte schmeckt süß und fruchtig, würzig und ein wenig scharf. „Es gibt so viele Blüten, die essbar sind“, sagt die gebürtige Schweizerin und strahlt.

Urban Gardening mit Fürstlichem Segen

Jessica Sbaraglia ist in ihrem Himmelreich, das sie sich klug und mit einer großen Portion Glück im Fürstentum an der Côte d’Azur erschaffen hat – und mit Fürst Alberts Segen. „Terre de Monaco“ nennt sich ihr Unternehmen – ein Urban-Gardening-Projekt, mit dem sie die Dächer des Ministaates begrünt und die Betonwüste des Fürstentums in essbare Landschaften verwandelt. Sie bereichert damit die Speisekarten vieler Gourmetrestaurants Monacos, die rege bei ihr ordern. Vor allem die alten, aromaintensiven Gemüsesorten, die hier im milden Klima der französischen Riviera prächtig gedeihen, sind stark gefragt.

Vom Model zur Gemüsegärtnerin

Für den aus Martinique stammenden Zwei-Sternekoch Marcel Ravin hat sie sogar einen 400 Quadratmeter großen Gemüsegarten auf dem Konferenzraum des Hotels Monte-Carlo Bay angelegt, direkt neben seinem Restaurant „Blue Bay“. „Da sind es keine zehn Schritte bis zum Kochtopf“, sagt Sbaraglia. „Es wachsen Erdnüsse, Okraschoten, Süßkartoffeln und Chayote – das, was Marcel Ravin aus seiner karibischen Heimat kennt und mit dem er gern arbeitet.“ Auch die Köche der Restaurants in den Nobelherbergen Hôtel Metropole, Hôtel de Paris oder Hôtel Hermitage wissen die Qualität ihrer Produkte zu schätzen.

Der Traum vom echten Geschmack

Dass Jessica Sbaraglia den Monegassen auf die Dächer steigt, kam so: Die heute 35-Jährige verdiente ihr Geld als Model, als sie ihrem Freund nach Monaco folgte. Sie machte Werbefotos für Kleidung, Brillen, Sport und Hotels. Für etwa ein Jahr arbeitete sie mit dem inzwischen verstorbenen Patrick Demarchelier zusammen, der sich einen Namen als Modefotograf gemacht hatte. Doch sie habe sich in der Branche „nicht unbedingt am richtigen Platz“ gefühlt, sagt Sbaraglia. „Den ganzen Tag hungrig zu sein, war nicht mein Ziel, ich träumte von etwas anderem.“ Sie belegte Kurse in Management und Design und pflanzte auf dem Minibalkon ihrer Wohnung Gemüse. „Mir schmeckte das Grünzeug einfach nicht, das ich im Supermarkt fand, und erinnerte mich an das wundervolle Aroma der Karotten, Gurken und Tomaten aus dem Garten meiner Eltern.“ Die wohnen in der Nähe von Basel. Und schon als Kind hatte sie ihnen bei der Gartenarbeit zugesehen, das eine oder andere selbst gepflanzt und geerntet. „Das hat mir damals schon Freude gemacht“, sagt sie.

Die Idee gedeiht – auf den Dächern

In ihrer neuen Heimat bepflanzte sie schon bald auch die Balkone der Nachbarn. Und spürte: Da ist ein Absatzmarkt. Die Idee war also da: der Anbau von Biogemüse, am besten von alten Sorten. Aber die Umsetzung? Jessica Sbaraglia schaut sich nach geeigneten Flächen im Häusermeer des nur zwei Quadratkilometer großen Fürstentums um. Sie findet große, unbenutzte Dachflächen auf Hochhäusern und startet eine Crowdfunding-Kampagne. Das Geld für den Start kam erstaunlich schnell zusammen: 20.000 Euro. Aber wie die Besitzer der Wohn- und Bürotürme von ihrem Plan überzeugen? „Schwierig war allein schon, das Gewerbe anzumelden“, erzählt die Gärtnerin. „Der Anbau von landwirtschaftlichen Produkten – die Behörden dachten wohl, ich spinne.“ Schließlich gibt es seit mehr als 100 Jahren keine Bauernhöfe mehr in Monaco.

Fürst Albert öffnet die Türen

Die große Chance kommt auf einem Event, auf dem auch Albert II zugegen ist. Sie fasst sich ein Herz und spricht den Fürsten an, erzählt von ihrem Plan. Der ist sofort begeistert und bietet ihr an, ein Stück des Grundstücks zu bepflanzen, auf dem sich seine Stiftung befindet. 30 Quadratmeter nur. Aber ein Startschuss mit ungeheurer Wirkung: Plötzlich stehen der jungen Frau alle Türen offen. Es finden sich immer mehr Dachflächen, die sie beackern kann. Die Nachbarn in den umliegenden Hochhäusern reißen sich bald um ihre Tomaten, die Paprika, die Kräuter, Auberginen in verschiedenen Formen, um die Eier in unterschiedlichen Farben, die die Hühner legen, und um den Honig, der je nach Jahres- und Blütezeit anders schmeckt. Bald stehen auch die Spitzenköche der kleinen Jetset-Metropole vor ihrer Gartentür.

Permakultur hoch über dem Meer

Heute bewirtschaftet sie mit drei Angestellten fünf monegassische Gärten in Permakultur. Die Lage ihres Arbeitsplatzes entschädigt für jede Anstrengung: hoch über den Dächern des Stadtstaates, mit besten Aussichten auf das Meer und die Berge, die gleich nördlich der Landesgrenze beginnen. Und die Nachfrage nach ihrem ökologischen Gemüse steigt weiter. „Ich könnte fünfmal so viel verkaufen“, sagt sie.

Vier Tonnen Gemüse – und ein Beitrag zum Klima

Mit ihrer Firma bringt sie nicht nur Farbe in die Betonwüste des Fürstentums; ihre Gärten, die jährlich vier Tonnen pestizidfreies Gemüse hervorbringen, kühlen und verbessern auch die schadstoffbelastete Luft. Außerdem sorgt Jessica Sbaraglia für eine im herkömmlichen Anbau verloren gegangene Vielfalt. „Ich pflanze zu 80 Prozent alte Sorten an – damit kümmere ich mich auch um das genetische Erbe, das ich erhalten will.“ In den Hochbeeten, die den Namen gleich doppelt verdienen, weil sie sich ja in schwindelerregender Höhe befinden, wachsen 40 verschiedene Tomatensorten, zehn Basilikum-, zehn Kürbis- und Zucchini- sowie sechs Auberginenarten, außerdem höllisch scharfer Chili.

Monacos grüne Utopie – mit globalem Potenzial

Hier oben vergisst man schnell, dass man sich gerade im dicht besiedeltsten Land der Welt befindet – und im reichsten. Nirgendwo sonst ist die Millionärsdichte höher als im Fürstentum an der Côte d’Azur. In den Häfen liegen die Luxusjachten dicht an dicht, und einmal im Jahr düsen Formel-eins-Boliden beim Großen Preis von Monaco durch die Straßen. Das alles aber scheint in Jessicas Gourmet-Gärten weit weg zu sein.

Die Idee wächst weiter – über Monaco hinaus

Apropos weit weg: Sbaraglia wird die engen Grenzen von Monaco bald überschreiten, um ihre Idee von nachhaltiger Landwirtschaft in die Welt zu tragen. In Nizza lässt sie demnächst acht Dachgärten entstehen, die durch Brücken miteinander verbunden sein werden. Weitere Projekte sind in Brüssel und der Schweiz geplant, wo sich unter ihren Händen Dächer in Bio-Oasen verwandeln sollen. Und wer weiß, wo ihre Idee künftig sonst noch Früchte trägt.

Mehr zum Projekt von Jessica Sbaraglia.

Partner