DER FEINSCHMECKER: Die Küche verändert sich ständig, ist Trends unterworfen wie die Speisen, die darin zubereitet werden. Welchen Einfluss hat die derzeitige Situation auf diesen Lebensraum?
Marc O. Eckert: Wir wissen, dass die allgemeine Tendenz besteht, immer weniger Zeit mit dem eigentlichen Kochen in der Küche zu verbringen. Andererseits beobachten wir, dass zunehmend soziale Aktivitäten wie Homeoffice, Homeschooling und Yoga in der Küche stattfinden.
Was bedeutet das für einen Hersteller wie bulthaup?
Die Corona-Krise hat uns allen vor Augen geführt, dass wir nicht so weiterleben können wie bisher. In vielerlei Hinsicht haben wir gespürt, dass es nicht um Quantität, sondern um Qualität geht. Das heißt, ich brauche weniger, aber das, was ich haben möchte, muss eine bestimmte Qualität haben. Das Zuhause spielt da eine große Rolle, es ist eine Basis, ein Rückzugsort, der Sicherheit vermittelt. Die Menschen sehnen sich nach Zugehörigkeit. Diese spüren sie in der Küche als Zentrum ihres Lebens. Wir als Hersteller müssen Angebote schaffen, die den Menschen dienen. Damit meine ich vor allen Dingen die emotionalen Bedürfnisse. Dass die Formen und die Funktion immer vorhanden sein müssen, das ist klar.
Das klingt, als ob die Küche neu erfunden werden müsste?
Nein, man kann die Küche nicht neu erfinden. Seit den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und der Frankfurter Küche haben wir eine Vorstellung, wie sie zu sein hat: mit Feuer (also einem Herd bzw. Ofen), Wasser, einer Arbeitsfläche und Stauraum. Aber die Frage ist, ob das noch die Bedürfnisse der Menschen trifft, so wie sie leben, leben wollen oder können.
Können Sie das genauer erklären?
Ich denke an den emotionalen Wert einer Küche. Der besteht nicht darin, dass man sich an der Schönheit des Objekts erfreut, dass man Luxus mit einem Preisschild gleichsetzt oder mit der Verarbeitungsqualität der Materialien. Tatsächlich ist doch nicht die Küche, in der gekocht wird, zentral, sondern der Tisch ist der Mittelpunkt. Dort isst man gemeinsam, dort finden Komödie und Tragödie sowie die schönen Gelage statt. Es geht darum, mit wem man isst, nicht, was man isst. Ich glaube, dass das der emotionale Mehrwert ist, dass man in die Qualität des Lebensraums Küche investiert.
Das hört sich so an, als wären komplette Küchen eher überflüssig. Sie könnten also in der Zukunft auch bloß Tische oder Einzelmöbel produzieren?
Nein, natürlich nicht. Es gibt schließlich viele Menschen, die unglaublich gerne zu Hause für ihre Familie oder für Freunde kochen. Es gibt diese Sehnsucht nach einem Ort, wo man gemeinsam schöne Momente verbringt und gesellig zusammensitzt. Da ist es unterm Strich egal, ob man das Drei-Gänge-Menü eines Spitzenkochs nachmacht oder sich ein Holzbrett, ein Messer und eine Tomate nimmt, und diese klein schneidet. Schon durch den Schnitt ändert sich der Geschmack – auch das ist für mich Kochen.
Wie definieren Sie eine moderne Küche?
Der Begriff der Modernität dreht sich nicht um das Objekt oder die Klarheit der Linien, sondern um die Klarheit der Gedanken. Für uns als Unternehmen geht es darum, über das Produkt, die Nahrung und das Kochen hinauszugehen. Ich bin mir ganz sicher, dass kein Kunde, der in ein bulthaup-Geschäft geht, vor seinem geistigen Auge schon eine fertige Küche sieht. Stattdessen hat er seine Familie im Kopf, die Kinder und den Partner, wie sie um den Tisch oder die Kücheninsel herumstehen und interagieren. Deshalb sind auch wir in der Transformation. Es geht gerade jetzt darum, im 21. Jahrhundert einen erweiterten Qualitätsbegriff hinzuzufügen und das ist der des menschlichen Miteinanders. Marke ist menschliche Haltung, nicht nur eine schöne Anzeige.
Und wie steht es mit dem sinnlichen Erlebnis des Kochens?
In unserer digitalen Welt sind die Zubereitung einer Speise und das gemeinsame Essen Ausdruck einer Sehnsucht nach Kommunikation. Aber wer weiß, ob es in fünf Jahren überhaupt noch Öfen gibt? Ob in den Küchen noch gekocht wird? Wir alle wissen, die Räume verändern sich. Kochen wird immer öfter outgesourct. Was aber immer bleibt, ist die menschliche Sehnsucht nach Zugehörigkeit, nach einem menschlichen Miteinander.
Das klingt eher fatalistisch für Ihre Branche …
Es gibt acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten und zig Milliarden unterschiedliche Definitionen, was Kochen ist. Das ist schließlich davon abhängig, wie ich lebe, in welcher Kultur ich bin, ob ich Single bin, ob ich Kinder habe, ob ich in einer Stadt oder auf dem Land lebe und so weiter. Am Ende des Tages werden wir immer versuchen, produktseitig Antworten zu finden. Flexible Antworten. Nicht modular, aber agil, sodass man immer wieder Antworten auf diese unterschiedlichen Interpretationen des Verbs „kochen“ sowie die anderen sozialen Aktivitäten in einer Küche geben kann.
Wie gehen Sie mit dem Thema Nachhaltigkeit um?
Ich glaube, dass wir uns Gedanken machen müssen über die Wertschöpfungstiefe. Das gute alte Handwerk ist nachhaltig: Wie man Material bezieht, wie man dieses Material verarbeitet, wie man schonend mit Ressourcen umgeht. Das alles mündet in ein Produkt. Aber Nachhaltigkeit hat auch etwas mit der Einstellung zu tun, beispielsweise mit Regionalisierung oder autonomer Energiegewinnung. Während der Pandemie bin ich von Abteilung zu Abteilung gegangen und hab da mal so reingehorcht. Es gibt viele Ideen, und wir haben ein Mitarbeiter-Gremium gebildet, das sich konkrete Gedanken macht. Unsere Überlegungen gehen in die Richtung einer agilen Konstruktion, in die man verschiedene Funktionen integriert. So kann man Küchen veränderten Bedürfnissen anpassen und muss sie, etwa bei einem Umzug, nicht entsorgen.
Werden Roboter demnächst das Kochen übernehmen?
Nicht bei uns. Die Menschen werden immer ein Zuhause haben, wo sie analog eine schöne Zeit miteinander verbringen. Und dafür werden wir auch in Zukunft Angebote schaffen – ganz ohne Roboter.